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Die Schriftstellerin Dana Ranga

© Matthes & Seitz

Gedichte von Dana Ranga: Mit Sisyphos auf dem Meer

Das 2005 veröffentlichte Lyrikdebüt der in Bukarest geborenen und in Berlin lebenden Schriftstellerin und Filmemacherin gibt es jetzt erstmals in einer deutschen Übersetzung.

Das Urteil ist bekannt, aber die Begründung umstritten. Homer nannte das Vergehen des Sisyphos nicht. Es liegt jedoch nahe, dass er den Unmut des Thanatos auf sich lenkte, des Totengottes, den er mehrmals überlistet hatte. Nun ist er dazu verdammt, einen Steinbrocken den Berg hinaufzurollen, der, beinahe ganz oben angekommen, wieder hinabrollt. Von Sisyphosarbeit spricht man noch heute, wenn eine Aufgabe keinerlei Sinn ergibt. Und so ist dann auch die Botschaft dieser Sage gefunden: Ein bedeutungsloses Leben ist schlimmer als der Tod.

Wie aber lässt sich Bedeutung schaffen, wie lässt sie sich der Welt abtrotzen? In ihrem Lyrikband „Stop – Die Pausen des Sisyphos“ variiert Dana Ranga den Mythos, begegnet ihm mit den Kniffen der Poesie. Ihr Sisyphos akzeptiert scheinbar sein Urteil, doch versenkt den Stein heimlich im Fluss: „Vielleicht, vielleicht gleitet er, vielleicht verschwindet / er im Nichts, im luftleeren Raum, im Chaos.“ Dann könnte er stattdessen die Freiheit schultern, „den Rettungsring, den ich schon so oft zum / Flicken gebracht habe“.

Nimmt man an, dass dieser Sisyphos hier in Verbindung steht mit den Erzählinstanzen der anderen Prosagedichte, wäre es auch höchste Zeit für einen solchen Befreiungsschlag, denn ihre Lage ist prekär. Ein Text endet mit den Worten: „Unglücklich ist / ein Mensch, der nicht nein sagt. Verbittert ist ein / Mensch, der nicht weiß, warum.“

Beschwörung des antiken Tricksters

Die Heraufbeschwörung des antiken Tricksters könnte selbst eine Pause darstellen, eine kurze Ausflucht aus den existenziellen Nöten, die sich hier Seite für Seite auftun. Mehrmals geht es um den frühen Tod einer Mutter, „Ich habe länger gelebt als sie“ heißt es da so lapidar wie eindringlich, als ließe sich der Schrecken noch nicht anders als durch Zahlenverhältnisse ausdrücken.

Mit dem Tod rechnen, das versucht auch „Dieser Realist“ in einem Gedicht, das Anleihen bei Albert Camus’ Sisyphos-Version nimmt. In seinem philosophischen Hauptwerk fragte der Nobelpreisträger, ob der Selbstmord in einer absurden Existenz nicht eine rationale Wahl wäre, und verneinte. Sein Sisyphos fand schließlich Glück in der Wahl seiner Aufgabe, er nahm seine Last an, wählte die eigene Strafe, schuf sich also einen Sinn, wo keiner vorgesehen war. Auch Dana Rangas Realist muss sich eingestehen, dass es etwas zu holen gibt auf dieser Welt: „Im Augenblick, im Sekundenbruchteil, / diskontinuierlich aber erwiesen, die Freude.“

Von hier aus blättert es sich unbeschwerter durch die vier Zyklen „S, s [es]“, „T, t [te], „O, o [o]“ und „P, p [pe]“. In „Aufnahmeprüfung“ entsagt das Ich zunächst allen Sicherheiten, verabschiedet Mutter, Vater, lässt alle Hoffnungen fahren und findet Zuflucht im Eigenen. „Hier bin ich“, heißt es da in einem Akt der Selbstermächtigung. Doch wer ist dieses Ich? Eines, das sich behauptet, das sich aus den Worten heraus selbst erschafft, eine propere Totgeburt, die vom Ende herkommend ins Leben stolpert, und, so beschaffen, ihre Umwelt mit nachsichtiger Skepsis betrachtet. Vor allem die allzu weltlichen, alltäglichen Anmaßungen wischt Ranga mit leichtem Strich vom Blatt.

In einem Text schrumpft sie einen vermeintlichen Helden auf seine tatsächlichen Maße, desavouiert ihn als „Possenreißer, Schelm, Hungerleider, Nacktarsch“. In einem anderen führt sie einen Herrn vor, der mit Erfolgen und Errungenschaften prahlt. Erst nach einer halben Stunde richtet er das Wort an seine Begleitung, fragt: „bist du verheiratet, hast du Kinder“. Mit „Etikette“ ist dieser Text betitelt, fordert also lediglich Anstand ein, und entzieht sich damit allzu politischer, feministischer Lesarten. Emanzipation ist sicher ein Thema dieses Buchs, doch zumeist in einem fundamentaleren Sinne verstanden, als Aufgabe, die Ketten des eigenen Daseins zu lockern.

„Stop“ ist das Lyrikdebüt Dana Rangas. Die in Berlin lebende Schriftstellerin und Filmemacherin, 1964 in Bukarest geboren, schrieb ihre letzten Bücher bereits auf Deutsch, dieser erste Band kam 2005 noch auf Rumänisch heraus und wurde nun von Ernest Wichner übertragen. Einen der Texte liest man unweigerlich als Verhandlung solcher Arbeit. Da trägt einer ein schlampig übersetztes Gedicht vor, woraufhin ein Seemann den Vortragenden bittet, die Verse doch in der Originalsprache erneut zu lesen.

Nicht zufällig ist es ein Matrose, der hier einen Betrug wittert. Das Meer findet mehrfach Erwähnung, als Ort der Heimkehr, doch auch der gefährlichen Suche nach Erkenntnissen. Man darf Dana Ranga selbst als eine Seefrau verstehen, die den Weg durch hohe Wellen nicht fürchtet, die sich durch Wind und Wetter schlägt, den Schiffsbauch gefüllt mit Versen, die vom Wunsch nach Freiheit künden, mit Tipps und Tricks, wie man der Welt entkommt, die Götter überlistet, die Himmelspforte knackt. Eine wertvolle Fracht.

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