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Kultur: Gefangen

Der Gropius-Bau entfernt ein umstrittenes KZ-Video

Aus Ernst wird Spiel, aus Spiel wird Ernst. Artur Zmijewskis Beitrag in der Ausstellung „Tür an Tür: Polen – Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte“ im Martin-Gropius-Bau Berlin dürfte die Besucher verwundert haben. Er zeigt in einer knapp zweiminütigen Filmaufnahme nackte Frauen und Männer, die in einem kahlen Raum Fangen spielen – bis klar wird, dass es sich um die Gaskammer eines Konzentrationslagers handelt. „Berek“ (Fangspiel, 1999) befindet sich in einem der letzten Räume des Ausstellungsparcours, in dem Beispiele künstlerischer Auseinandersetzung mit dem Holocaust beiderseits der Grenze versammelt sind.

Doch nun sorgt die gezielt tabuverletzende Arbeit Zmijewskis für Skandal. Über einen Monat nach Eröffnung der großen historischen Ausstellung mit 600 Exponaten wurde das Video abgeschaltet – „aus Respekt vor den Opfern der Konzentrationslager und deren Nachfahren“, wie Gereon Sievernich, Intendant des Gropius-Baus, erklärt. In den vergangenen Wochen reagierten Besucher mit Befremden auf den Film, schließlich intervenierte das Centrum Judaicum. Der polnischen Kuratorin Anda Rottenberg und dem Künstler Artur Zmijewski blieb nur noch, diese Entscheidung zur Kenntnis zu nehmen. Beide wurden vorher nicht informiert.

Der Fall ist betrüblich, denn in dem Video wird keineswegs mit dem Schrecken Scherz getrieben, sondern die in Körper und Orte eingeschriebene Erinnerung auf sehr drastische Art offenbart. Dafür ist Zmijewski bekannt. In einem früheren Video hat er einen Holocaust-Überlebenden hartnäckig überredet, sich die fast verblichene KZ-Nummer am Unterarm wieder nachtätowieren zu lassen. Am Ende gibt der alte Mann nach. Ein grausames Spiel. Leichtfertigkeit ist dem Künstler nicht zu unterstellen, höchstens die brutale Provo-Geste.

Der Vorwurf fällt auf den Martin-Gropius-Bau zurück, der sich vorher hätte entscheiden müssen, ob er sich hinter eine solch drastische Position zu stellen wagt oder nicht. Der Film war bereits in Berlin zu sehen, ohne größere Aufregung, nur nicht an solch prominentem Ort und bei solch heikler Gemengelage. Die Ausstellung „Tür an Tür“ soll aus Anlass der EU-Ratspräsidentschaft Polens die deutsch-polnische Ländernachbarschaft zelebrieren, mit all ihren Höhepunkten und Niederlagen. Dass der letzte Beitrag ausgerechnet eine Kühlkammer des Bildhauers Gregor Schneider ist, hat sich als wenig glückliche Metapher für den Ausgang der Ausstellung erwiesen.

Von einer neuen Eiszeit kann aber kaum die Rede sein, wenn erst in der vergangenen Woche mehrere Ausstellungen zeitgenössischer polnischer Künstler eröffnet wurden. Von Artur Zmijewski wird man ohnehin noch hören. Er ist der künstlerische Leiter der Berlin Biennale im kommenden Jahr und will dann die „Jewish Renaissance Bewegung“ vorstellen, die fiktiv die Rückkehr von 3,3 Millionen Juden nach Polen fordert. Ein anderes Spiel.Nicola Kuhn

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