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Kultur: Geräusche von nebenan

Helke Sander über den Abschied vom Sex.

Es ist der andere in mir, der alt geworden ist“, sagt Simone de Beauvoir, „das heißt jener, der ich für die anderen bin: Und dieser andere – bin ich.“ Solche Erkenntnisse befördern autosuggestive Ermutigungen, die Ekkehard Martens’ Lesebuch „Lob des Alters“, dem das Aperçu entnommen ist, bereithält. Immerhin neigt das Geschlecht, das sich traditionell im Spiegel des Anderen wahrnimmt, zu besonderer Klage, wenn die Lebenslinien nicht nur Weisheit, sondern sichtliches Dahinwelken signalisieren. Gar nicht erst zu reden vom Sex.

„Der letzte Geschlechtsverkehr“, schreibt die Filmemacherin Helke Sander in ihrem gleichnamigen Erzählungsband, unterscheide sich vom ersten dadurch, dass man oft nicht wisse, „dass es der letzte war“. Die „älteren“ Frauen – ein grammatisches Unding, da diese ja jünger sind als alte Frauen – können nicht einmal mehr sagen, sie seien froh, die aktive Zeit hinter sich zu haben. In einer Gesellschaft, die Sex zur Pflicht macht, ist dies ein Makel. So erzählt Sander, eine Pionierung der Frauenbewegung, höchst vergnüglich vom Älterwerden. Von der Bibliothekarin Beate, die nach viel Überwindung auf eine Kontaktanzeige antwortet. Von Helga, Mitbewohnerin einer WG „mittelalterlicher, gut situierter Leute“, die plötzlich verdächtige Geräusche aus Willis Zimmer hört. Oder von E., der Protagonistin der Titelgeschichte, die sich öffentlich genötigt sieht, den „Abschied von der Sexualität nicht einfach hinzunehmen“. Nun fragt sie sich, „ob das immer so weitergehen soll, wie propagiert wurde oder ob sie sich selbstbewusst von ihren Entdeckungen auch wieder verabschieden“ kann.

Manchmal liegt es an den älteren Männern, die ihren Begehrensradius auf Frauen im Alter der eigenen Töchter verlegt haben, dass es einfach nicht mehr klappen will. Gehobene Ansprüche treffen auf die Beschränkungen des Angebots und eingeübte Lebensstile auf risikoscheue Zögerlichkeit: Sie denkt, dass er denkt, dass sie denkt. Aber auch die Männer sind vor Verunsicherungen nicht gefeit: „Ich glaube, man wird alt“, lässt Sander zwei von ihnen im Zug über ihre Erfahrungen sagen, „wenn man die sexuellen Zeichen nicht mehr versteht.“

Da könnte Sanders Bändchen nachhelfen: Mit diesem Titel in der U-Bahn, unterstützt von einem Cover, das das Kamasutra zitiert, sollte einiges möglich sein – zumindest ein erstes inniges Anbahnungslächeln. Ulrike Baureithel

Helke Sander: Der letzte Geschlechtsverkehr und andere Geschichten über das Altern. Verlag Antje Kunstmann, München 2011. 159 Seiten, 16,90 €.

Ekkehard Martens:
Lob des Alters. Ein philosophisches Lesenbuch. Artemis & Winkler, Mannheim 2011. 248 S., 16,95 €.

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