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Kultur: Gewinn

Die Chefin trägt schwarz. Eine riskante Farbe im Fernsehen.

Die Chefin trägt schwarz. Eine riskante Farbe im Fernsehen. Aber Risiko ist an diesem Montag auf dem Parteitag in Dresden ganz offensichtlich ein positiv besetzter Begriff. Das Wort wird noch ein paar Mal in ihrer Rede auftauchen. Das vorschriftsmäßige Business-Kostüm hat sie, wieder einmal, gegen den Gehrock mit Stehkragen eingetauscht, die Alltagsuniform gegen den Kampfanzug. Und die Botschaft wird offensichtlich verstanden: "Die Heilige Johanna", flüstert ein Delegierter, noch bevor Angela Merkel den ersten Satz gesprochen hat.

Doch sie beginnt gar nicht kämpferisch. Sie, die sich als Kritikerin Kohls für den Spitzenjob empfohlen hat, lobt den Vorvorgänger gleich zu Beginn ("Diese 16 Jahre waren und bleiben gute Jahre für unser Land") und erntet den ersten richtigen Beifall ausgerechnet, als sie auf Hessen eingeht, auf den Wahlsieg ihres Dauerkonkurrenten Roland Koch 1999. Er wird wenig später noch einmal stark, als sie vom Parteitag aus alle auffordert, sich öffentlich zu entschuldigen, die in Sachen Leuna "haltlose Behauptungen" aufgestellt hätten.

Erst danach, spät, kommt Merkel zu ihren Themen. Sie macht es geschickt, hämmert sie in geradezu biblischer Ausdrucksweise ("Ich aber sage") ein. Und sie ruft nicht nur die Reihe unantastbarer christdemokratischer Heiliger an, sondern lässt auch immer anklingen, dass deren Politik Risiken barg: "Die Kraft Konrad Adenauers" habe es nach dem Krieg geschafft, die Bundesrepublik nach Westen zu führen, auch um den Preis, die deutsche Einheit erst einmal zu verschieben.

Risiko als Leitwert

Erhard habe die soziale Marktwirtschaft durchgesetzt, obwohl sie "in einer Zeit des Mangels auch Ungleichheit" bedeutet habe. Dann wieder das R-Wort: Auch Peter Müller im Saarland "hat riskanten Wahlkampf gemacht", da hätten manche schlucken müssen, als Müller seiner Wählerschaft zugemutet habe, dass unter seiner Regierung mit dem Steinkohle-Abbau Schluss sein werde.

Das Risiko einmal zum Leitwert erklärt, kann Merkel ihr Programm entfalten - keine Brandrede, wie alle sie sowieso für den kommenden Tag von Edmund Stoiber erwarten, sondern eine für die Volkspartei CDU, eine "Partei des Brückenbaus", sagt Merkel, oder auch des "Augenmaßes" oder der "Ehrlichkeit": Globalisierung ja, aber keine, die diejenigen als kleinmütig abtut, die nicht nur Chancen in ihr entdeckten, sondern auch den Verlust von Sicherheit fürchteten. Nein zur Schwulenehe, aber Familie auch da sehen, wo nicht das klassische Ehepaar für Kinder sorgt. Und Zuwanderung ja, aber nicht so wie die rot-grüne Regierung sie will. Da gibt sie dann auch noch einmal Grund zum Beifall für alle die, die es gern etwas härter hätten von ihrer Vorsitzenden und möglichen Kanzlerkandidatin: "Ja klar machen wir das zum Wahlkampfthema, wenn die Bundesregierung keine richtige Lösung hat."

Überhaupt, der Beifall. Der, auf den alle gespannt waren, den hat sie bekommen. Da hat die Parteitagsregie funktioniert: Sechseinhalb Minuten halten die Delegierten durch, der Saal erhebt sich, zum Schluss fallen die Nordrhein-Westfalen sogar in jene "Angie-, Angie"-Rufe, die noch entfernt an die Zeit ihres Triumphzugs an die Spitze vor mehr als anderthalb Jahren erinnern. Sogar ihrem glücklosen Generalsekretär Laurenz Meyer spendiert der Parteitag nach einer lahmen Rede 90 Prozent Zustimmung. Kandidatinnen-Beifall oder Vorsitzenden-Beifall? "Das kann man so nicht entscheiden", sagt die Nordrhein-Westfälin und frühere Berliner Kultursenatorin Christa Thoben. Mit dieser Rede habe sie geschafft, der Partei das Gefühl zu geben: "Wir sind wieder wer." Danach könne man die Kandidaten-Frage wieder mit mehr Ruhe entscheiden.

Aber der Beifall für Merkel, die Stimmen für ihren Generalsekretär - alles vermutlich die falsche Adresse oder, wie es einer im Plenum sagt, "Ausdruck der Weisheit der Delegierten", die ihre Vorsitzende nicht ohne Schaden für die Partei beschädigen können. Über Merkels Kandidatur werden Interessen entscheiden, nicht Parteitagsreden: Das Interesse Stoibers, nicht einfach als einziger Kandidat übrig zu bleiben. Das Interesse Roland Kochs, eine erwartbare Niederlage Merkels dazu zu nutzen, sich selbst im Jahre 2006 ins Spiel zu bringen.

Ein Wort wie von Kohl

Merkel selbst hat die leidige K-Frage nach dem Ausgang der Konkurrenz Merkel-Stoiber an diesem Montag in Dresden nicht so beantwortet wie es eine bedingungslos Entschlossene tun müsste: "Es ist wichtig, einen einmal beschlossenen Zeitplan einzuhalten." Man müsse dem Gegner zeigen: "Wir lassen uns nicht beirren." Ein Wort wie von Kohl, dem Herrn der Zeitpläne, den sie denn auch für die letzten Sätze der Rede in Anspruch nimmt: Der habe beim Parteitag in Hamburg 1994 zum Kämpfen aufgerufen, als keiner mehr an den Sieg geglaubt habe. "Auch damals gab es nur eine Antwort: Kämpfen!"

Die Vorsitzende empfiehlt sich als Kandidatin: Dieses Mal kein Risiko in der Sachpolitik, sondern eines in der Person? Ob der Beifall im Saal darauf schon Antwort gibt oder einige Gesichter im Parteitagspräsidium? Das Gesicht Wolfgang Schäubles zum Beispiel, der seiner Nachfolgerin so gut wie nicht applaudiert, mit versteinertem Gesicht dasitzt, die Mundwinkel tief nach unten gezogen. Oder die, die sagen, sie hätten die K-Frage gar nicht erst debattiert im Kreisverband: "Der Stoiber wird das nicht machen." Ob er will, wird seine Rede am Dienstag zu erkennen geben. Vielleicht.

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