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Die in Berlin lebende Schriftstellerin und Dramatikerin Gisela von Wysocki, geboren 1940.

©  Barry Lynch

Berliner Autorin: Gisela von Wysocki erhält Heinrich-Mann-Preis

Ihre Essays ebneten einen Pfad aus dem Jargon der Kritischen Theorie und warfen einen mikroskopischen Blick auf das Spektakel der Männerkultur. Nun erhält Gisela von Wysocki den Heinrich-Mann-Preis.

Stimmen begleiten ihren Weg. Schon das kleine Mädchen ist erschrocken über die ausladenden Stimmen der Operndiven und Schlagergrößen in den Rillen der schwarzen Schallplatten, die der Vater, ein Pionier der Schellack-Kultur, jeden Abend nach Hause bringt. Für einen Zauberer hält ihn das Kind. Vom Vater vor ein Mikrofon gesetzt, versagt ihm allerdings die Stimme. Später wird die halbwüchsige Gisela von Wysocki unter der Bettdecke Adorno-Vorträgen im Radio lauschen und einer Stimme, die „klingt, als hätte sie im hintersten Winkel der Kehle eine Höhle entdeckt, die für den lückenlos klingenden Satz die beste Bedingung bietet“. Festgehalten ist dieser Satz in „Wiesengrund“, nach „Wir machen Musik“ der zweite autobiografisch gefärbte Großtext der Berliner Essayistin und Erzählerin.

Vielleicht wehte von diesen literarisch verdichteten Stimmwundern ein Hauch in die Akademie der Künste, als anlässlich der Verleihung des diesjährigen Heinrich-Mann-Preises sowohl der Geehrten als auch ihrem Laudator Lothar Müller einige Augenblicke lang die Stimme abhandenkam, wie um daran zu erinnern, welches Wagnis es einmal für Frauen bedeutet hat, überhaupt ihre Stimme zu erheben. Oder wie Virginia Woolf oder Marieluise Fleißer, über die von Wysocki neben anderen geschrieben hat, einen Raum zu beanspruchen, der nicht „männlich“ kontaminiert war.

Die Begriffe Kammer und Kamera dienen ihr als poetologische Anleitung

Die frühen Essaysammlungen („Die Fröste der Freiheit“ oder „Weiblichkeit und Modernität“) der 1940 Geborenen wiesen den Jüngeren in den achtziger Jahren einen Pfad aus dem Jargon der Kritischen Theorie. Zwar rettete die auch als Pianistin ausgebildete Autorin den adornitischen Satzrhythmus, befreite sich jedoch vom begrifflich Substantivischen, indem sie durch die Erscheinungsformen, die Dinge, Körper und Räume hindurch, aufs Allgemeine verwies. Der empfundene Augenblick, bescheinigen ihr die Juroren, scheine durch für das Ganze der Existenz, „die mit schwingender Eindringlichkeit nach dem Gleichgewicht von Geist, Seele und Natur sucht“.

Die Medien, so Lothar Müller in seiner die „essayistische Geisterstunde“ beschwörenden Preisrede, seien einerseits Wysockis Sujet, andererseits fungiere der Essay selbst als Medium, das die „Klopfzeichen der Vergangenheit“ empfange. In der ersten Person Singular, diskret und zurückgenommen, richte die Autorin ihren mikroskopischen Blick auf das Spektakel der Männerkultur, das Regelwerk der Ordnung und seine Requisiten. Anschließend führte die Autorin vor, wie ihr Heinrich Mann, aus dessen Werk Hans Zischler vortrug, zum „Fremdenführer“ wird.

An zwei verwandten Worten hält sie sich bei seiner Lektüre fest, Kammer und Kamera, und nimmt sie auf als poetologische Anleitung für ihre passageren Erzählungen. Ganz im Sinn ihres Gewährsmannes, des Philosophen Maurice Merleau-Ponty, der in seiner Phänomenologie davon ausgeht, dass „das Fleisch der Welt“, die Materialität „aus dem Berühren geschnitzt“ sei.

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