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Die Geigerin Leticia Moreno

© HarrisonParrott

Brandenburgische Sommerkonzerte: Glück und Rotweinglas

Mit der Academy of St. Martin in the Fields und der Geigerin Leticia Moreno feiern die Brandenburgischen Sommerkonzerte ihr 25-jähriges Bestehen in Luckau.

Sinnlichkeit pur, und das in einem Gotteshaus! Am Sonntag in der Nikolaikirche zu Luckau stockt manchen der Atem. Denn die aufstrebende spanische Violinistin Leticia Moreno spielt Astor Piazzollas „Las Cuatro Estaciones potenas“ nicht nur, sondern führt sie mit ihrem großen, biegsamen Körper geradezu auf.

Die argentinische Antwort auf Vivaldis Jahreszeiten, dargeboten auf einer Nicola Gagliano von 1762, rührt schon mit den überraschenden Klängen, die die 30-jährige Solistin dem Instrument entlockt, vom hyperventilierenden, fiebrigen Frühling, bis zum erst spritzig trotzigen und schließlich immer müder werdenden Winter. Die Tango-Anmutungen von der anderen Seite der Welt unterstreicht die Virtuosin mit temperamentvollen Bewegungen, zaubert mit den feurigen Blicken ihrer dunklen Augen immer wieder ein Lächeln auf die Lippen der Ensemblemitglieder der Academy of St. Martin in the Fields. Was für ein Finale für das offizielle Jubiläumskonzert zum 25-jährigen Bestehen der Brandenburgischen Sonderkonzerte!

Luckau hat sich sehr verändert seit den Anfängen, ein überaus schmuckes Städtchen ist daraus geworden. Die Kirche ist seit Wochen ausverkauft, an der Abendkasse spielten sich bis zuletzt Kartendramen ab. „Gefühlt“ sei ihr Haus „mehr als bis auf den letzten Platz besetzt“, sagt Pfarrerin Kerstin Strauch in ihrer Begrüßungsansprache – „und es ist nicht Weihnachten!“

Mi diesem Zusatz trifft sie den Kern eines nicht so häufig erwähnten Verdienstes des privat finanzierten Festivals. Im Laufe eines Vierteljahrhunderts haben die „Klassiker auf Landpartie“ auch einen Schatz gehoben, der unter sozialistischer Herrschaft fast verrottet wäre. Sie haben Dorfkirchen wieder belebt, sie geöffnet für eine größere Welt, haben genau hier die Wurzeln des Abendlandes revitalisiert. Das kann man auch beim Blättern in dem schönen Erinnerungsband an die erst 25 Jahre bildlich nachvollziehen.

Nicht immer mag dabei so offensiv prickelnde Sinnlichkeit im Spiel gewesen sein, wie an diesem Vorabend des 724. Geburtstags von St. Nikolai. Ganz unterschiedliche Erinnerungen werden ausgetauscht. Da ist die Dame, die ihrem Sitznachbarn von der ersten Begegnung mit dem Festival-Erfinder Werner Martin erzählte. „Wir wollen Kultur nach Brandenburg bringen“, habe der gesagt. Darauf sie: „Glooben Sie etwa, dass ick nicht weeß, wer Beethoven ist?“

„Schade, dass es schon wieder vorbei ist!“

Ein weiterer Schlüsselsatz – denn es ging ja nie nur um die Grundlagen. Die Sommerkonzerte brachten Spitzenkünstler aus der ganzen Welt in die traumhaft schönen märkischen Landschaften. Sie brachten nicht nur die Menschen in Ost und West zusammen, sondern vereinten Naturgenuss mit Hochkultur.

Wie passend, dass für das Festkonztert die Academy of St. Martin in the Fields eingeladen war. Fanden sich doch deren Musiker einst auch in einer Kirche zusammen. Mit Tomo Keller an der Geige beginnt das Konzert mit Johann Sebastian Bachs Violinkonzert BWV 1042. Das Wechselspiel zwischen Soloinstrument und Ensemble im ersten Satz erzählt ebenfalls viel von der Geschichte dieses Festivals, bei dem es immer auch um Kommunikation ging. Die fast tänzerische Leichtigkeit des Solisten im zweiten Satz ist noch weit entfernt vom Tango der späteren Stunde, spricht in ihrer eher geistigen Virtuosität aber auch davon, wie der bittere Ernst aus diesen lange verschlossenen Kirchen melodiös vertrieben wurde. Noch einmal das Raunen nach der „Valse“ in Peter Tschaikowskys Streicherserenade: „Schade, dass es schon wieder vorbei ist!“ Geringere Kunst wäre diesem Kulturschatz vielleicht gar nicht angemessen gewesen.

Am Anfang freilich wurde bei dem Festival erst mal unter widrigen Umständen losgelegt, vieles machten damals die Freundeskreise möglich. Der Vorstandsvorsitzende Thomas Schmidt-Ott würdigt den Erfinder des ganzen Konzepts mit eleganter Leichtigkeit, indem er Werner Martin als „unbeugsamen Rechtsanwalt aus dem märkischen Dorf Zehlendorf“ beschreibt, der es mit seinem Zaubertrank, dem berühmten Glas Rotwein, schaffte, Menschen so zu motivieren, dass aus den ersten Entdeckerfahrten ein veritables Festival wurde. Beim Abendliedersingen auf dem Marktplatz ist der Titel dann Programm: „Kein schöner Land in dieser Zeit …“

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