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Kultur: Goldene Jahre

Das Tschechische Zentrum Berlin würdigt die deutschsprachigen Architekten Prags

Prag besteht gemeinhin aus Hradschin und Karlsbrücke. Dabei zählt die tschechische Hauptstadt zu den wichtigsten Standorten der modernen Architektur des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts. Die Bauten aus der Zeit zwischen 1900 und 1938 schmücken die Neubauviertel der gewachsenen Stadt, finden sich aber ebenso im historischen Zentrum.

Dazu ist in den vergangenen Jahren etliches publiziert worden. Doch bislang klafft eine erhebliche Lücke: nämlich die Tätigkeit deutschsprachiger, zumeist jüdischer Architekten in der Republik. Sie sind, bedingt durch die dramatische Geschichte Tschechiens, nahezu vollständig in Vergessenheit geraten. Der Historiker Zdenek Lukeš hat sie in mühevoller Suche wiederentdeckt; seine Ausstellung „Begleichung der Schuld. In Prag tätige deutschsprachige Architekten 1900– 1938“ ist jetzt in Berlin zu sehen. Zwar verteilt sie sich auf zwei Örtlichkeiten, das veranstaltende Tschechische Zentrum sowie die Neuköllner Galerie im Saalbau. Doch wird sie von einem vorzüglichen Katalog begleitet, der diesen Umstand mehr als wettmacht.

Wie in einem Brennglas findet sich hier die tragische Geschichte Europas gebündelt: „Es handelt sich zumeist um Architekten jüdischer Herkunft,“ – schreibt Lukeš – „deren Schicksal dramatisch war – diejenigen, die es nicht schafften, rechtzeitig zu emigrieren, endeten in den Konzentrationslagern, und nur wenige von ihnen erlebten das Ende des Krieges. Diejenigen, die keine Juden waren, kamen während des Krieges um oder wurden später vertrieben. Vom Schicksal vieler wissen wir bis heute nichts. Offensichtlich konnten nur drei Vertreter dieser zahlenmäßig starken Gruppe nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem tschechischen Territorium weiter tätig sein. Einer von ihnen ist während der russischen Okkupation im Jahre 1968 ums Leben gekommen, ein weiterer emigrierte im gleichen Jahr.“

Mit einem Mal bekommen Gebäude ihre Geschichte, die ganz selbstverständlich zur Prager Moderne zählen. Ernst Mühlstein, der als gebürtiger Prager wie viele Kollegen an der deutschen Technischen Hochschule studiert hat, vollzieht in seinen zahlreichen Bauten die Entwicklung vom Expressionismus zum Funktionalismus, hin zum Ford-Verwaltungsgebäude von 1928/30. Das Warenhaus „Te-Ta“ in der Jungmannova, gemeinsam mit seinem langjährigen Partner Victor Fürth entworfen, zeigt eine an Erich Mendelsohn geschulte Eleganz. Das markante Eckgebäude der „Adria“-Versicherung in derselben Geschäftsstraße wurde 1929 von dem Prager Friedrich Lehmann entworfen, der nach dem Zweiten Weltkrieg am Wiederaufbau der Wiener Staatsoper mitwirkte.

Weit reichte der Einfluss des im mährischen Brünn geborenen Wieners Adolf Loos, der deshalb, wiewohl mit seinen Prager Bauten bestens bekannt, in die vorliegende Übersicht aufgenommen wurde. Das aufgeschlossene Bürgertum ließ sich in jenen Jahren von Architekten wie Otto und Karl Kohn, Max Gerstl oder Franz Hruschka gern loos-ähnliche Villen errichten. Wollte man in Prag „all das niederreißen, was nicht von Tschechen erbaut wurde“, – heißt es im Katalogvorwort – „dann müssten wir mit der Prager Burg beginnen“. Die Moldau-Metropole war fast stets eine kosmopolitische Stadt. Daran anzuknüpfen bedeutet, die Schuld des Vergessens zu begleichen.

Friedrichstraße 206 sowie Karl-Marx- Straße 141, bis 22. Oktober, Katalog 10 €.

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