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Kultur: Gotik aus eigener Hand

So überaus produktiv Karl Friedrich Schinkel war, so viel von seinem Werk ist doch im Zweiten Weltkrieg zerstört worden oder verloren gegangen. Das gilt für den Architekten, aber beinahe mehr noch für den Maler, der Schinkel (1780-1841) auch war.

So überaus produktiv Karl Friedrich Schinkel war, so viel von seinem Werk ist doch im Zweiten Weltkrieg zerstört worden oder verloren gegangen. Das gilt für den Architekten, aber beinahe mehr noch für den Maler, der Schinkel (1780-1841) auch war. Die wichtigsten Werke, nämlich die Fresken für die offene Vorhalle des Alten Museums, sind im Feuersturm verbrannt, zahlreiche Gemälde verschollen. „Weltruhm hat er als Architekt erlangt, nicht als Maler“, urteilt Helmut Börsch-Supan, der Verfasser des Catalogue raisonné des malerischen Œuvres. Umso mehr darf als Sensation gelten, dass ein bislang als zeitgenössische Kopie geltendes Gemälde nunmehr als von eigener Hand erkannt worden ist. Die als Leihgabe aus Privatbesitz im Pommerschen Landesmuseum Greifswald bewahrte „Gotische Kirche auf einem Felsen am Meer“ von 1815 ist nach eingehenden Untersuchungen als eigenhändiges Werk Schinkels bestätigt worden.

Die Initiative zur jüngsten Begutachtung ging von Otmar Plaßmann aus, dem Experten für Gemälde des 19. Jahrhunderts beim Kölner Kunsthaus Lempertz. Eine Infrarotaufnahme förderte Vorzeichnungen „für die anspruchsvolleren Partien“ zutage, wie Lempertz dieser Tage mitteilte. Die von Börsch-Supan bestätigte Zuschreibung an Schinkel ergibt, dass das Greifswalder Bild die im Format nahezu identische Zweitfassung des in der Alten Nationalgalerie Berlin befindlichen Erstlings darstellt. Eigenhändige Repliken für private Auftraggeber waren im frühen 19. Jahrhundert üblich. Der Lohn der Mühe: Lempertz wird das Gemälde am 15. Mai versteigern; der Schätzpreis von 140 000 bis 180 000 Euro dürfte angesichts der Seltenheit Schinkelscher Werke durchaus moderat angesetzt sein.

Schinkels Malerei hat nie die Anerkennung erfahren, die seinen architektonischen Leistungen von Anfang an zuteil wurde. Meist wird die künstlerische Beschäftigung bei Schinkel als Zeitvertreib abgetan oder als bloßer Broterwerb in einer Zeit, da es aus materieller Not an Bauaufträgen mangelte. 1815 ist das Jahr, in dem Europa nach den napoleonischen Erschütterungen durch den Wiener Kongress eine neue Ordnung erfährt und insbesondere Preußen zur Großmacht aufsteigt. In den Befreiungskriegen hatte sich eine nationale Identität gebildet, die gern auf eine vermeintlich glorreiche mittelalterliche Vergangenheit zurückgriff. Die Gotik galt als „deutsche“ Baukunst. Wenn Schinkel also eine gotisierende Fantasie ausbreitet – denn es gibt keinerlei reales Vorbild für den von ihm „entworfenen“ Dom –, so bedeutet dies einen Rückgriff auf intakte politische und gesellschaftliche Verhältnisse. Kurz darauf jedoch entwarf Schinkel das Schauspielhaus am Gendarmenmarkt in vollendetem Klassizismus. Das steht nicht im Widerspruch; denn Schinkel wollte – wie Börsch-Supan schreibt – „das Athen der perikleischen Zeit und die Stadt des deutschen Mittelalters als gleichberechtigte Vorbilder für die Reorganisation des politischen und kulturellen Lebens in der preußischen Hauptstadt proklamieren“.

„In einer unschuldigen Tätigkeit finde ich immer meine größte Zufriedenheit“, hat Schinkel über seine Malerei gesagt. Die Berlin-Greifswalder Komposition ist jedoch alles andere als eine bloße Fingerübung. Die raffinierte Perspektive, die Aufsicht und Untersicht vereint – auf die Personengruppe rechts und auf die Kirche –, noch dazu in malerisch schwierigem Gegenlicht, verrät Schinkels Schulung als Maler von Dioramen und Bühnenprospekten. Schinkels Kunst ist immer auch Gedankenkunst; anders allerdings als Caspar David Friedrich, dessen Natursymbolik Schinkel fremd blieb. Dieses Gedanklich-Programmatische ist im Übrigen auch den Bauten und ihrer Ausstattung eigen, man denke an das im Alten Museum ausgeführte Bildungsprogramm. Dieser Bildungsanspruch jedoch wurde bereits zu Lebzeiten übergangen und später gegenüber der eigentlichen Architektur ganz verworfen.

Schinkel hatte als Denkmal für die Befreiungskriege einen gotisierenden Dom entworfen; ein freihändiger Entwurf ohne Aussicht auf Verwirklichung. In seinen Gemälden, wozu insbesondere das Gemälde „Gotischer Dom am Wasser“ von 1813 zählt, hat Schinkel immer wieder den Grundgedanken des Kirchengebäudes als einem geistigen Leuchtturm aufgegriffen. Das Gemälde von 1813, mit dem sich Schinkel erstmals in der Berliner Akademie-Ausstellung als Maler empfahl, ist gleich in beiden, einst der Nationalgalerie gehörenden Originalversionen verloren gegangen; es ist nur als zeitgenössische Kopie erhalten.

Dem Greifswalder Bild, das nun auf den Markt kommt, attestierte Börsch-Supan ursprünglich einen „Mangel an architektonischer Festigkeit“, was immer das heißen mag. Nun jedoch legt die Infrarotdurchleuchtung nahe, dass der Künstler sich selbst kopiert hat, und zwar qualitativ auf derselben Höhe. Es ist nunmehr eine Gelegenheit, die Bedeutung des Malers Schinkel neu zu überdenken.

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