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Badestilleben. Gemälde von Christa Dichgans

© Gemälde: Christa Dichgans/Foto: Nick Ash

Grande Dame der Pop Art: Die Puppen und Bälle der Christa Dichgans

Contemporary Fine Arts zeigt Arbeiten aus dem Frühwerk der Pop-Pionierin

Von Jens Müller

In „Mad Men“, der legendären Fernsehserie über die 1960er Jahre, sind zwei der Hauptfiguren Peggy Olson und Joan Holloway. Beide starten als Sekretärinnen in das Jahrzehnt und steigen erst zur Copywriterin und dann zur Teilhaberin ihrer New Yorker Werbeagentur auf. Beide werden schwanger und durchleben große Konflikte bei dem Versuch, Kind und Karriere respektive Baby und ein gleichberechtigte Partnerschaft unter einen Hut zu bringen. Eine Nebenfigur ist die Malerin Midge Daniels, die als emanzipierte Frau eingeführt wird, später einen nichtsnutzigen Mann heiratet und beider Heroinsucht mit dem Verkauf ihrer Bilder nicht mehr finanzieren kann.

Es ist nicht bekannt, ob die Malerin Christa Dichgans sich die besagte Serie je angesehen hat. Bekannt ist: Ziemlich genau zur gleichen Zeit hat das echte Leben sie in Berlin vor sehr ähnliche Herausforderungen gestellt. Ein Studium an der damaligen Hochschule der Künste. Einen aufstrebenden Maler, Karl Horst Hödicke, als Ehemann. Und ein kleines Kind namens Robert. Wie das alles zusammenbringen? In einer kleinen Wohnung in der Charlottenburger Fasanenstraße

Die bestens gelegene Wohnung und die Herkunft aus vermögenden Verhältnissen war die erste Voraussetzung, damit zurechtzukommen. Männer, die sie unterstützten oder immerhin gewähren ließen, die zweite. Dass Hödicke in der Fasanenstraße unterm Dach ein Atelier für sich alleine beanspruchte, war nur eine Selbstverständlichkeit. Beide studierten an der HdK bei Fred Thieler. Wie wichtig es für sie war, dass Thieler einverstanden war, dass sie ihre Bilder zu Hause und nicht in der Akademie verfertigte, hat die 2018 verstorbene Christa Dichgans immer wieder gesagt.

So stellt man sich ihren Alltag anno 1964/65 – da war sie gerade mal Mitte 20 – ungefähr so vor: Der Mann, Hödicke, weilt zum Malen entweder in der Akademie oder im Atelier. Sie jedenfalls ist mit dem Sohn allein in der Wohnung und kümmert sich um das bisschen Haushalt. Und ganz gelegentlich findet sie auch noch die Zeit, die Bilder zu malen, die die Grundlage dafür schaffen, dass man sie einmal, Jahrzehnte später, die Grande Dame der deutschen Pop Art nennen wird: Das Potenzial aufblasbarer Gummitiere hat sie Jahrzehnte vor Jeff Koons entdeckt.

Der Erfolg kam, doch er kam spät, sehr spät – quasi erst mit der Gruppenausstellung „German Pop“ (2014) in der Schirn Kunsthalle, die Christa Dichgans in eine Reihe rückte mit Sigmar Polke und Thomas Bayrle.

Darüber mag man insofern staunen, als sie in zweiter Ehe mit dem bedeutenden Berliner Galeristen Rudolf Springer verheiratet war. Hätte es für den nicht eine leichte Übung sein müssen, die Karriere seiner Gemahlin ein wenig mehr anzuschieben? Oder waren der Mann und sein Job, also die persönliche Verbindung, gar der Grund, dass Christa Dichgans als Künstlerin nicht hinreichend ernst genommen wurde?

Wie auch immer: Andy Warhol und Tom Wesselmann haben die ästhetischen Anregungen für ihre Pop Art aus der typischen Werbung ihrer Zeit und aus den Waren in den Supermarktregalen bezogen, Coca-Cola und 7 Up, Campbell‘s und Dole. Christa Dichgans hat auch schon mal Lebensmittel gemalt, Würste zum Beispiel. Am berühmtesten sind aber ihre Bilder von Spielzeug. Haufenweise Kinderspielzeug.

Wie sie darauf kam, das zeigt nun eine Ausstellung in der den Nachlass der Künstlerin betreuenden Berliner Galerie Contemporary Fine Arts. Christa Dichgans hat einfach gemalt, was sie vor Augen hatte. Ihren Sohn mit seinen Spielsachen. Der wurde älter und verschwand später aus den Bildern, bei den Spielsachen ist sie geblieben. Bei den Puppen und Bällen, Dreirädern und Teddybären, Spielzeugautos und Spielzeugkisten.

„Robert mit Puppe“ (1964, 120 x 100 cm); „Robert mit Dreirad“ (1965, 133 x 98 cm); „Robert mit Spielkiste“ (1965, 95 x 95 cm). Zuweilen fehlt Robert bereits: „Zwei Puppen“ (1965, 85 x 115 cm) „Puppe und Zentralheizung“ (1965, 120 x 100 cm). Zwei Bilder – „Keilrahmen und Kinderbett“ (1964, 55 x 72 cm) und „Badestilleben“ (1965, 65 x 65 cm) – zeigen schon jetzt nur noch das in großer Zahl angehäufte, das achtlos aufgehäufte Spielzeug.

Wie immer bei Pop Art bleibt die Frage, ob der modernen Konsumwelt hier gehuldigt, ob sie verspottet oder kritisiert wird. Die despektierliche Haufenform lässt im Falle von Christa Dichgans die zweite Möglichkeit als die wahrscheinlichere erscheinen. Ihre Bilder aus der Ausstellung „Robert“ kosten bei CFA zwischen 45.000 und 75.000 Euro.

Dass dieses Frühwerk, in dem schon alles angelegt scheint, so selten zu sehen ist (zuletzt: 1992), dürfte übrigens weniger am Gegenstand liegen als an der Technik. Plastisch, detailversessen und ans Fotorealistische grenzend penibel sind die (Spielzeug-)Bilder, wie sie die 1966 mit einem DAAD-Stipendium nach New York gekommene Künstlerin ab der zweiten Hälfte der 1960er Jahre gemalt hat.

In ihren 1964 und 1965 entstandenen Bildern der Ausstellung ist das noch nicht abzusehen. Von einem unmittelbaren künstlerischen Einfluss ihres Lehrers Fred Thieler hat sie später wenig wissen wollen. Abstrakt, gegenstandslos wie dieser Informelle hat sie nicht gemalt. Und doch eignet ihren frühen Bildern noch etwas unabweisbar Gestisches, dezidiert Expressives. Die Ausstellung zeigt die Grande Dame der deutschen Pop Art, lange bevor ihre Kunst Pop Art wurde.

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