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Gurlitt-Fund: Im Dickicht der Behörden

Wer wusste was beim spektakulären Schwabinger Kunstfund? Bayern und der Bund schieben die Verantwortlichkeiten über die dilettantischen Informationspolitik zum Gurlitt-Konvolut hin und her.

Vom Schwabinger Kunstschatz wussten einige bayerische und Bundesbehörden, Ämter und Fachleute. Doch wurde detailliertes Wissen um die 1406 Bilder des Kunsthändlersohns Cornelius Gurlitt und damit auch die Verantwortung derart hin- und hergeschoben, dass offenbar kein Ministerium von den Behörden informiert wurde. Auf diese Weise steckte die Sammlung, die in Teilen aus von den Nazis als „entartet“ verfemter Kunst sowie aus NS-Raubkunst besteht, gut eineinhalb Jahre im Bürokratiedickicht fest. Das geht aus einem Bericht des Bayerischen Justizministeriums auf Anfrage der Grünen-Landtagsfraktion hervor – und aus Aussagen aus dem Haus des Kulturstaatsministers.

Den Bayern zufolge wurden die Bilder nach ihrer Entdeckung durch den Zoll am 1. März 2012 von den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen besichtigt. Das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen sowie am 21. März auch die Behörde von Kulturstaatsminister Bernd Neumann (BKM) wurden informiert. Ein Sprecher des – erkrankten – Neumann bestätigte dies gegenüber dem Tagesspiegel. Der BKM empfahl auf Anfrage der Augsburger Staatsanwaltschaft Experten zur Begutachtung des Konvoluts. So wurde etwa die Berliner Kunsthistorikerin Meike Hoffmann als Sachverständige berufen – und von der Staatsanwaltschaft zur Vertraulichkeit verpflichtet. Somit lag die Zuständigkeit wieder in Augsburg. Die Staatsanwaltschaft betonte jetzt jedoch erneut, die Beschlagnahme der Gurllitt-Bilder im Februar 2012 sei "eine Zwangsmaßnahme im Rahmen staatsanwaltlicher Ermittlungen" gewesen - und somit grundsätzlich nicht öffentlich.

Die Behörde von Kulturstaatsminister Neumann sagt, sie wusste nichts Genaues nicht. Und fragte nicht nach

Nach der Weiterleitung der Informationen und der Vermittlung der Experten sahen die zuständigen Mitarbeiter im Hause Neumann jedenfalls keinen Grund zu weiteren aktiven Nachfragen. Offenbar gingen die Beamten davon aus, dass sich jemand meldet, wenn die Begutachtung Bemerkenswertes ergäbe. So oder so hatte der Kulturstaatsminister keine Informationen über die Bedeutung des Funds, weder über die betreffenden Maler, noch über die Tatsache, dass es sich um wertvolle Werke der von den Nazis verfemten "entarteten" Kunst oder um Raubkunst handeln könnte.

Anders lässt sich in der Tat kaum verstehen, warum der in Restitutionsfragen immer leidenschaftlich engagierte Bernd Neumann die Angelegenheit nicht zu seiner Sache machte. Die Bayern stellen das jedoch etwas anders dar: Dem BKM seien auch Fotos zugesandt worden, heißt es von dort. Wenn das zutrifft, hätten alle Alarmglocken schrillen müssen. Ein merkwürdiger Widerspruch.

Regierungssprecher Steffen Seibert weist ebenfalls jede Kritik zurück, der Bund habe sich zu spät eingeschaltet. Die Federführung habe immer bei der Staatsanwaltschaft Augsburg gelegen.

Auch in Bayern gelangten Informationen offenbar nicht an das zuständige Wissenschafts- und Kunstministerium. Ein hochrangiger Vertreter war am Tag der „Focus“-Veröffentlichung Anfang November völlig ahnungslos, das Justizministerium will ebenfalls nichts gewusst haben. Unklar ist noch der Informationsstand des für Zollfragen zuständigen Bundesfinanzministeriums. Die SPD im bayerischen Landtag droht nun mit einem Untersuchungsausschuss über den „dilettantischen Umgang, der für das Ansehen Bayerns und Deutschlands eine Katastrophe ist“.

Bayerns Justizminister Bausback gesteht Fehler ein

Fest steht, dass auf die öffentliche Empörung und die nationale wie internationale Kritik an den Versäumnissen schnell reagiert wurde. Vier Tage nach Bekanntwerden des Gurlitt-Funds trafen sich in München am 8. November Vertreter der bayerischen Justiz- und Kunstministerien, des Berliner Finanzressorts und des BKM. Dabei wurde die Einrichtung einer Provenienz-Taskforce mit mindestens sechs Experten vereinbart, die Meike Hoffmann jetzt unterstützen. Besetzt wird sie vom Bund und von Bayern; in den Bayerischen Gemäldesammlungen wird eine Fachkraft zusätzlich dafür eingestellt. Auch mit der Veröffentlichung geht es jetzt schnell. Wie bereits gemeldet, sollen im Lauf der kommenden Woche alle 590 Werke aus dem Gurlitt-Fund mit unklarer Provenienz auf der Internetplattform www.lostart.de eingestellt werden. Der Ansturm auf die Datenbank, wo die bislang 25 veröffentlichten Werke in Briefmarkengröße zu sehen sind, überlastete den Server bereits in den letzten Tagen, mit fast 5 Millionen Zugriffen. Normal sind bei lostart.de maximal 50 000 pro Tag.

Bayerns neuer Justizminister Winfried Bausback (CSU) gesteht gewisse Fehler ein. Es hätte „frühzeitiger erkannt werden müssen“, dass für die Erforschung der Bilder mehr Personal erforderlich ist. Bausback regte zudem an, mit dem Kunsthändlersohn Cornelius Gurlitt zu sprechen, um eine einvernehmliche Lösung bei der möglichen Rückgabe an frühere Besitzer zu finden. Was nicht leicht sein dürfte, denn der 80-Jährige hat weiterhin keinen Rechtsvertreter. Und die Restitution liegt nicht in der Hand des Bundes oder des Freistaats Bayern, die Verhandlungen mit Gurlitt, der wohl in den meisten Fällen nach wie vor rechtmäßiger Eigentümer der Werke ist, müssten die rechtmäßigen Vorbesitzer oder ihre Erben führen. Bei Nichteinigung müssen die Gerichte entscheiden – über jedes einzelne Bild.

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