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Kultur: Gutes Leben, schlechtes Leben

Ted Honderichs Traktat „Nach dem Terror“gilt manchen als antisemitisch. Nun distanziert sich der Suhrkamp Verlag

Von Christian Böhme

und Moritz Schuller

Antisemitisch. Einen schlimmeren Vorwurf kann man einem Buch wohl nicht machen. Zumal in Deutschland. Erst vor Jahresfrist erregte sich die Republik über einen Roman von Martin Walser. „Tod eines Kritikers“ löste einen Sturm der Entrüstung aus – noch bevor der umstrittene Text überhaupt erschienen war. Arbeitete der berühmte Autor mit judenfeindlichen Stereotypen? Keinesfalls!, riefen Walsers Verteidiger. Eine neue Entgleisung von einem, der gerne mit Moralkeulen um sich schlägt, empörten sich seine Kritiker.

Um Moral, vermeintliche ethische und politische Vorurteile, die es über Bord zu werfen gilt, geht es auch bei dem jetzt entbrannten Streit über das Buch eines kanadisch-britischen Philosophen. „Nach dem Terror“, nennt Ted Honderich seine Abhandlung über die Ursachen und Folgen der Anschläge vom 11. September 2001, die ausgerechnet in der Jubiläumsreihe der Edition Suhrkamp erschienen ist. Und noch bevor dieser „Traktat“ so richtig in den Läden zum Verkauf ausliegen und der Inhalt über Rezensionen zumindest einen kleinen Teil der Öffentlichkeit erreichen konnte, hat die Debatte über das Für und Wider der 241 Seiten begonnen.

Die Aufregungsgesellschaft hat einen neuen Fall.

Ausgelöst hat ihn Micha Brumlik. In einem Offenen Brief an den Suhrkamp Verlag, der unter dem Titel „Philosophischer Judenhass“ in der „Frankfurter Rundschau“ am Dienstag veröffentlicht wurde, fährt der Leiter des Fritz-Bauer-Instituts für Holocaustforschung schweres Geschütz auf: Honderich verbreite „antisemitischen Antizionismus“ und rechtfertige die Ermordung jüdischer Zivilisten in Israel. Deshalb müsse der Verlag das Werk unverzüglich vom Markt nehmen.

Am Mittwoch nun erklärte der Suhrkamp Verlag (siehe nebenstehende Meldung), genau das tun zu wollen: „Wir bedauern, dass dem Verlag die Haltung des Autors zum palästinensichen Terrorismus nicht rechtzeitig deutlich wurde.“

Brumlik war sie schneller aufgefallen. Ihm stachen vor allem Honderichs Ausführungen über den Nahen Osten und den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern ins Auge. Unter der grundsätzlichen Fragestellung, was ein gutes Leben von einem schlechten unterscheidet, geht der Philosoph in der Tat auch auf staatliche Gewalt und Gegengewalt in Form von Terrorismus ein. Mit Sätzen, die Brumlik veranlassten, seiner Empörung öffentlich Ausdruck zu verleihen: „Ich für meinen Teil habe keinen ernsthaften Zweifel (…), dass die Palästinenser mit ihrem Terrorismus gegen die Israelis ein moralisches Recht ausgeübt haben“, schreibt Honderich auf Seite 236 der (sprachlich schludrigen) deutschen Ausgabe. Und: „Diejenigen Palästinenser, die zu unvermeidlichen Tötungen als Mittel gegriffen haben, waren im Recht, zu versuchen, ihr Volk zu befreien; und diejenigen, die sich selbst für die Sache ihres Volkes getötet haben, haben sich in der Tat selbst gerechtfertigt.“ Wird hier Selbstmordattentätern soziale und politische Notwehr zugute gehalten oder soll nur um der Sache willen provoziert werden?

Ebenfalls am Mittwoch meldete sich Jürgen Habermas in der „FR“ mit seiner „Erklärung einer Buchempfehlung“ zu Wort. Nicht von ungefähr. Er hatte dem Verlag das Honderich-Buch Ende vergangenen Jahres empfohlen. Nun räumt der Philosoph ein, der Offene Brief habe ihn „aufgescheucht“. Zwar spricht Habermas seinem Freund Brumlik das rechte Augenmaß ab, weil der Honderichs Buch mit Jürgen Möllemanns anti-israelischem Flugblatt und Walsers „Tod eines Kritikers“ auf eine Stufe stelle. Nur wer manche Sätze „ohne hermeneutische Nachsicht aus dem Zusammenhang der Argumente löst“, könne sie „gegen die Intention des Autors immer für antisemitische Zwecke verwenden“.

Habermas gibt aber auch zu, Empfindlichkeiten unterschätzt zu haben. Und er macht klar, dass er die Schlussfolgerungen seines kanadisch-britischen Kollegen für falsch hält: „Honderich unterscheidet seine politische Bewertung des palästinensischen Terrors nicht von dessen moralischer Rechtfertigung.“

Genau das macht das Buch angreifbar. Habermas und Suhrkamp hätten aber um die Gefahr wissen müssen, die von diesem „hemdsärmeligen Pamphlet“ (Habermas) ausgeht. Denn als Honderichs „After the Terror“ vor einigen Monaten in den USA und Großbritannien erschien, löste es ebenfalls eine heftige Debatte um angeblichen akademischen Antisemitismus aus. In der Zeitung „Jerusalem Post“ nannte Edward Alexander Honderich einen „sozialistischen Millionär“ und einen Apologeten palästinensischer Selbstmordattentäter. Und die Hilforganisation Oxfam lehnte Honderichs Tantiemen-Spende von 5000 Pfund mit der Begründung ab, sie wolle nicht von diesem Buch profitieren.

In England und den USA war „Nach dem Terror“ vornehmlich gut aufgenommen worden. Das israelisch-palästinensische Kapitel spielte bei den meisten Rezensenten keine Rolle. „In der Flut der Literatur über den Terrorismus“, schrieb etwa Noam Chomsky, sei Honderichs Essay „ein überzeugender und eindrucksvoller Beitrag zur Debatte über komplizierte, schmerzhafte und drängende Probleme“.

Honderich, der zu den renommierten Moralphilosophen der Gegenwart zählt, äußerte Verwunderung über Oxfams Ablehnung seiner Spende. In zwei weiteren Aufsätzen entwickelte er seine Überlegungen zum Terrorismus weiter. In seinem letzten Beitrag aber schrieb er, dass er sich nun eine Weile zu dem Thema nicht mehr äußern wolle. In Deutschland greift sein Verlag mit der Rückgabe der Rechte diesem Entschluss nun vor.

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