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Inspirationsort Atelier. Hanne Darboven sammelte in ihrem Studio bei Hamburg Funde über Funde. Die unübersichtliche Fülle stand in erstaunlichem Widerspruch zur Akribie ihrer Zeitnotate.

© Hanne Darboven Stiftung Hamburg, VG Bild-Kunst 2021, Roy Colmer

Hanne Darboven im Duisburger Museum Küppersmühle: Die Künstlerin der Stunde

Die Minimalistin Hanne Darboven trifft den Nerv gerade unserer Zeit. Mit ihren kalendarischen Notationen hält sie das Verstreichen fest.

Wohl kaum eine Künstlerin hat sich so intensiv dem Thema Zeit und Zahlen gewidmet wie Hanne Darboven. 1966 ging die Absolventin der Hamburger Kunsthochschule und Tochter einer Kaffeeröster-Dynastie für zwei Jahre nach New York, zog sich in ein 50-Quadratmeter-Appartement zurück und entwickelte in der Abgeschiedenheit ihre eigene Kunstsprache: Zahlenkolonnen auf Millimeterpapier, in denen sich Tage, Monate, Jahre abbilden. In der Malerei schien der spröden Hanseatin, die ihren Kurzhaarschnitt von jung an wie ein Bekenntnis zum Essenziellen trug, alles gesagt zu sein. Deshalb suchte sie nach anderen Ausdrucksformen und fand sie im Kosmos der Zahlen, mit denen sie der Vergänglichkeit zumindest schriftlich Einhalt gebot.

Die 2009 mit 67 Jahren verstorbene Minimalistin, die sich zu Recht als Maximalistin bezeichnete, ist die Künstlerin der Stunde. Denn wenn wir seit dem Ausbruch der Pandemie für eins das Gefühl verloren haben, dann ist es wohl die Zeit. Wie eine zähe Masse zieht sie sich dahin. Eine Ende der Sonderregelungen, ein ungehinderter Aufbruch in die Zukunft ist nicht absehbar.

Die Ausstellung selbst ist in die Turbulenzen der Zeit geraten

Gegenwärtig entspricht es der miserablen Stimmung vieler Menschen, das Verstreichen der Zeit wie bei einem Gefängnisinsassen oder Bundeswehrsoldaten numerisch abgehakt zu sehen. Hanne Darboven hat die Methode künstlerisch nobilitiert, intellektuell aufgeladen und gehört damit in eine Reihe mit Sol LeWitt, Donald Judd und Carl Andre, die sie in New York kennenlernte.

Das Museum Küppersmühle in Duisburg hat mit einer überwältigenden Schau der Grande Dame der Konzept-Kunst in den umgebauten Speicherhallen direkt am Hafen einen genialen Griff getan. Gleichwohl ist es selbst in die Turbulenzen der Zeit geraten. Die Eröffnung musste ausfallen, der zweite Lockdown begann.

Die 2000 gerahmten Blätter an den meterhohen Wänden blieben wie in einer Zeitkapsel sich selbst überlassen. Nur Youtube-Videos eines launigen Rundgangs mit der ARD-Wettermoderatorin Claudia Kleinert und Museumsdirektor Walter Smerling oder Gespräche mit dem Bildhauer Tony Cragg und Museumsmann Felix Krämer gaben Einblick in die Duisburger Zeitaufzeichnungen.

Eine Wetterfee führt in die Ausstellung „Der Regenmacher“ ein

Dass hier einmal eine Wetterfee – die Hände schwenkend wie vor einer Deutschlandkarte mit Sonnenschein und Regenwolken – die Kunst präsentieren darf, dient nicht nur der Aufmunterung angesichts eines verhagelten Ausstellungsbeginns, sondern vor allem der humorvollen Überleitung zum größten der vier ausgestellten Zyklen: dem „Regenmacher“ (1985) mit 1386 durchnummerierten Seiten.

Was die Titel gebende Holzskulptur, die vermutlich für Touristen angefertigt wurde und aus West- bzw. Zentralafrika stammt, wiederum mit den anderen Abbildungen der Serie zu tun hat – Objekte der Hoch- und Populärkultur, Werbeprodukte, eine Büste Konrad Adenauers, eine Bibel –, bleibt schleierhaft.

Hanne Darboven kartografiert die Zeit zwar systematisch, aus deren Strom aber fischt sie Gegenstände, die eher willkürlich erscheinen. In ihrem Atelier nahe dem Familiensitz am Rande Hamburgs hortete die Künstlerin Funde über Funde. Neben dem Rauchen war dies ihre dritte Passion.

Darboven trifft den Nerv der Zeit - auch mit postkolonialer Schnitzarbeit

Mit der Wahl einer postkolonialen Schnitzarbeit als Signet für eine ihrer umfangreichsten Serien aber trifft sie nochmals unvermutet den Nerv unserer Zeit, erneut schmerzhaft. Denn heutzutage ließe sich die Voodoo-Figur kaum noch unkommentiert hinstellen. Inzwischen gibt es Erklärungsbedarf, die Zeit exotisierender Assoziationen ist endgültig vorbei.

Das Museum Küppersmühle hat Glück im Unglück. Die gezeigten Darboven-Zyklen gehören der Sammlung Ströher, die in Duisburg seit dem Auszug der Sammlung Grohe eine neue Heimat gefunden hat. Die Ausstellung kann also nach eigenem Gusto verlängert werden, soweit es die Empfindlichkeit der Papiere zulässt. Sie hätte es verdient, von einem großen Publikum nicht nur digital gesehen zu werden. 2021 könnte zum exemplarischen Jahr für das Museum werden.

Von Herzog de Meuron entwarfen auch den Erweiterungsbau

Die ursprünglich für das Frühjahr angekündigte Eröffnung des Erweiterungsbaus von Herzog & de Meuron, der die Sammlung Ströher in ihrer ganzen Größen mit den Heldenmalern Baselitz, Kiefer, Uecker, K.O. Goetz fortan auf insgesamt 6500 Quadratmetern zeigen soll, wird nun im Herbst stattfinden.

[Museum Küppersmühle, Duisburg, bis 16.5.; www.stiftungkunst.de]

Auch hier spielte wegen Corona die Zeit nicht mit. Allerdings ist diese Verzögerung eine Kleinigkeit gegen die Hängepartie, die Duisburg gut zehn Jahre zuvor mit der Baustelle erlebte. Wegen Baumängeln musste eine komplette Neuplanung her. Vergessen ist das nicht. Doch auch von der Hamburger Elbphilharmonie weiß man: Die Zeit heilt Wunden.

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