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Kultur: Happy End durch die Hintertür

„Arsinoe“: 25 Jahre Berliner Kammeroper

Die Pioniertat der Berliner Kammeroper in Sachen Reinhard Keiser datiert von 1992: Damals führte die von Henry Akina und Brynmor Jones gegründete freie Operntruppe die hinreißende Barockoper „Masaniello furioso“ auf – lange bevor René Jacobs den Komponisten mit seinem „Croesus“ an der Staatsoper deutschlandweit als Komponisten von Rang etablierte.

Mit ihrer neuen Produktion im Haus der Berliner Festspiele, Keisers 1710 entstandener „Arsinoe“, geht die Kammeroper nun dramaturgisch über Jacobs hinaus – und lässt zudem, auf die musikalische Substanz konzentriert, mit dem Streichquintett plus Bläsern und Continuo, mit dem Thomas Ihlenfeldts Capella Orlandi auskommen muss, Keisers einstige größere Orchester kaum vermissen. Seine Arien sind zudem von einer stilistischen Vielfalt, der mit Barockroutine nicht beizukommen ist: Neben pikanten Klangillustrationen gibt es äußerst Fragiles – wie das hauchzarte Stimmungsbild für nackte Singstimme und vier Blockflöten ohne Bass, mit denen schon die erste Arie der Arsinoe überrascht.

Die größte Herausforderung dieser Jubiläumsinszenierung zum 25-jährigen Bestehen der Kammeroper aber ist der Text. Während das Sprechtheater vor den verwirrenden Intrigenhandlungen und der angeblich unpsychologischen Typenhaftigkeit der Charaktere kapituliert hat, kommen die Liebhaber der deutschen Barockoper um die Libretti nicht herum. Meist werden sie ironisiert; die Regisseure reduzieren den Plot auf jene Geschichten, die sie selber interessieren.

Solcher Oberflächlichkeit setzt die Produktion eine radikal anspruchsvolle und genial einfache Lesart entgegen. Die Intrigenhandlung wird nicht zusammengefasst – folglich sind Sänger wie Regisseur zu größter Klarheit gezwungen. Und plötzlich geschieht, wonach man in der Barockopernszene sonst lange suchen muss: Die Darsteller deklamieren den Text wie ihre Muttersprache – und jäh wird das ganze Ausmaß des Sprachwitzes und des Spiels des Librettisten mit dem Reim deutlich.

Auch der Regisseur und neue Leiter der Kammeroper, Kay Kuntze, lässt sich in die Pflicht nehmen. Jeder Regieeinfall wird aus dem Text entwickelt. Das wichtigste Requisit etwa, ein langes rotes Tuch, ist kein typisches Regiespielzeug, sondern szenische Antwort auf das Spiel, das der Librettist mit den Haaren der verwitweten Königin Arsinoe spielt: Als Stricke werden sie zu Symbolen ihrer erotischen wie machtpolitischen Anziehungskraft. Gebannt durchstreifen die Zuhörer das Labyrinth der Handlung, deren Happy End plötzlich wunderbar überraschend erscheint. Ein großer, ein wichtiger Abend.

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