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Kultur: Happy Halluzination

„Party“ bei Neugerriemschneider – die Berliner Galerie zeigt Michel Majerus

Eine Frau wirft lachend den Kopf in den Nacken, eine andere reißt den Mund auf und schließt die Augen. Neben ihnen: Michel Majerus, der auf Fotos oft etwas linkisch wirkt. Hier blickt der Künstler entspannt in die Kamera. „Party“ nannte er die 1999 entstandene Siebdruckserie mit sich wiederholenden Schnappschüssen in dem für ihn typischen Quadratformat. 60 mal 60 Zentimeter gute Laune. In der Galerie Neugerriemschneider ist dieser Zyklus mit aneinandergereihten Porträts der Feiernden zum ersten Mal komplett zu sehen. Wie bruchstückhafte Erinnerungen an einen Rausch stimmen sie ein auf die großformatige Majerus-Welt, deren Wucht und pralle Unwirklichkeit manchmal ins Monströse kippt. Der Blick schweift ab zu einem Bild in leuchtendem Acryl. Die Worte „Depressive Neurosis“ treten aus einem Kreis hervor.

Mit nur 35 Jahren kam der Luxemburger 2002 bei einem Flugzeugunglück ums Leben, und im Rückblick verwundert die ungemeine Produktivität des Shootingstars, der der Malerei der Neunziger entscheidende Impulse verlieh. Auch die ausgestellten Bilder strahlen dieses Glück der Arbeit und die Angst vor Leerlauf aus, diese forsche Experimentierfreude, die sich nicht verschließt im Kryptischen. In einer großen Neonparty werden Avantgarde und Mainstream, abstrakte und figurative Malerei, unbestimmte Geste und Schrift versöhnt. Über die Leinwand der Arbeit „Depressive Neurosis“ zog Majerus nachlässig ein Linienraster, zwei Köpfe stoßen leere Blasen aus. Von rechts oben strahlt Rot ins Bild, vielleicht ein Stern oder eine comicartige Explosion. Dominiert wird die Nichtkomposition von dem rosafarbenen Button mit der titelgebenden Wortsequenz. Sie sieht aus wie ein Markenname.

Bei Majerus sind die Zeichen und Bilder der Massenmedien verrückt geworden, ihrem Kontext entzogen und mit Ironie aufgeladen. „Liebt euch“, prangt auf einer seiner collagenhaft geschichteten Aluminiumtafeln, jeder Buchstabe in einer anderen Type. Darunter sieht man Computerprints, die Joints rauchende Frauen zeigen, und wie eine Halluzination steigen knallbunte Kreise ins Bild. Auch die psychedelischen und sexuellen Revolutionen der Sechziger präsentieren sich heute als Lebensentwurf unter anderen, mit ihrem eigenen Design und Bildreservoires, die sich zerlegen lassen, schichten, aufblasen, zusammenfalten.

Von dieser Freiheit in der Bewältigung von Bildwelten und Bedeutungen künden alle vier Arbeiten (Preise auf Anfrage). Der riesige Druck „Pathfinder“ zeigt ein Cover der Satirezeitschrift „Pardon“ aus den Siebzigern. „King Kong ist der Weihnachtsmann“, brüllt die Schlagzeile. Der Gorilla turnt auf dem World Trade Center, das bereits in Schutt und Asche lag, als die Arbeit entstand. Über dem Cover liegt wie ein Siegel des Künstlers ein primärfarbenes Band. Von „Your bad taste“ (2002) starrt ein Totenkopf. Zur Installation erweitert wird das Bild durch lackierte Rahmen an der Wand; anekdotische Verweise auf Kontemplation und Beschränkung der Minimal-Art.

Michel Majerus liebte solche eklektische Überwältigung, wusste aber, dass einige Effekte womöglich schnell verpuffen: „What looks good today may not look good tomorrow“, lautete sein bekannter Slogan. Heute sieht sein gerade vergangenes Gestern allerdings noch sehr gut aus. Daniel Völzke

Galerie Neugerriemschneider, Linienstraße 155, bis 25. August; Dienstag bis Sonnabend von 10–18 Uhr.

Daniel Völzke

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