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Kultur: Heiligs Blechle

Die Traummaschine: Am Freitag wird Ben van Berkels Mercedes-Benz-Museum in Stuttgart eröffnet

Alltagskultur ins Museum zu bringen, ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, sie dort zur Kunst zu stilisieren, eine Idee der Moderne. Firmenmuseen treiben es auf die Spitze: Museal ist potenziell alles, was aus der Sortimentsliste gestrichen wurde. Und was die Fans meist schleunigst wieder dorthin zurückhaben wollen, um es doch noch zum Ladenpreis kaufen zu können.

Ein Ausstellungshaus wie das neue Mercedes-Benz-Museum, das am Freitag in Anwesenheit von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Stuttgart-Untertürkheim eröffnet wird, funktioniert wie eine Traummaschine. Das Erstaunliche dabei ist: Sie läuft, ohne zu stottern. Das Museum wird auch all denen gefallen, die keine Autonarren sind. Man muss kein Markenfetischist sein, um auf seine Kosten zu kommen.

Dabei liegen die Absichten der Mercedes-Manager auf der Hand. Mit dem ebenfalls neuen Mercedes-Benz Center, einer prätentiösen Glas- und Stahlkiste, wie sie ähnlich auch in Berlin am Charlottenburger Salzufer steht, hat man den Autoladen gleich ans Museum angebaut. Verbunden sind beide Gebäude durch eine unterirdische Passage. „Oben geht es um die Marke, unten um die Wurst“ titelte die Architekturzeitschrift „Bauwelt“ über das allzu gemischte Doppel.

Die Ingredienzien des Mercedes-Benz- Museums entsprechen zunächst den Erwartungen. Da sind natürlich die Oldtimer aus der firmeneigenen Sammlung: 170 auf Hochglanz polierte Exemplare, vom Leichenwagen bis zum Experimentalgeschoss. 80 Personen-, 40 Renn- und 40 Nutzfahrzeuge, inklusive einiger Exoten wie Schiffe, Fluggeräte oder Zweiräder (Tagesspiegel vom 13. Mai). Eine erlesene Auswahl, das Beste vom Besten. Im Classic Center Fellbach, der firmeneigenen Restaurierungswerkstatt, gibt es übrigens noch ein paar Hallen voller ähnlich scharfer Modelle, die der solvente Autofreund dort auch mieten kann.

Was den Museumsneubau am Traditionsstandort Untertürkheim zum Ereignis macht, ist seine architektonische Qualität. DaimlerChrysler, bislang nicht gerade durch ambitionierte Baukultur aufgefallen, beauftragte einen der anspruchsvollsten Architekten der Gegenwart: Ben van Berkel. Der 1957 geborene Niederländer gilt als Konzeptualist. Mit seiner Frau, der Kunsthistorikerin Caroline Bos, und seinem Amsterdamer Architekturbüro „UN Studio“ entwirft er Gebäude, die sich nie im Ästhetischen erschöpfen.

In Untertürkheim brachte van Berkel das Kunststück fertig, ein Museum zu bauen, das ohne Schokoladenseite auskommt – und doch als Marken-Zeichen funktioniert. Ikonizität heißt der Trend im Museumsbau, seit Frank Gehrys Guggenheim-Museum in Bilbao ist er allgegenwärtig. Van Berkels Schöpfung ist keine Spaßarchitektur – und macht doch Laune, vor allem wenn man sich dem metallisch glänzenden Haus, das weder mit der Metapher vom gelandeten Ufo noch als Designer-Parkhaus hinreichend beschrieben wäre, in verschiedenen Tempi und Wetterlagen nähert. Aus der Perspektive des Autofahrers, der auf der B 14 vorbeirauscht, erscheint der 47,5 Meter hohe Bau mal gewichtig und geheimnisvoll grau, mal entmaterialisiert wie eine Fata Morgana. Auch wer sich vom GottliebDaimler-Stadion zu Fuß nähert, ist zunächst vom stattlichen Volumen überrascht. Und wenn die Sonne über die mit feinen Noppen versehenen, silbergrau lackierten Aluplatten der Fassade streicht, geraten ihre Ränder und Rundungen ins Flimmern und Flirren. Heiligs Blechle.

Das Sinnliche wird zur abgeleiteten Funktion höherer Mathematik. Die Idee des Hauses steckt in seinem Kern. Der Grundriss formt die äußere Membran – wenn man von einem klassischen Grundriss überhaupt sprechen mag. Van Berkel legt die Figur einer Doppelhelix zugrunde, die so verzogen ist, dass sie sich wie ein Kleeblatt um ein annähernd dreieckiges Atrium auffächert. Es gibt keine herkömmlichen Geschosse, nur im Fluss befindliche Ebenen; zwei spiralförmige Rampen, die räumlich ineinander greifen und sich hin und wieder zu Ausstellungssälen weiten. Ohne Computer lässt sich das weder entwerfen noch bauen.

Entstanden sind auf diese Weise 16 500 Quadratmeter Ausstellungsfläche: ein Parcours voller Durch- und Ausblicke, lediglich direkt vor den Fensterbändern von Stützen unterbrochen, ausgelegt für sehr hohe Lasten. Die Tragwerksplaner des Stuttgarter Ingenieurs Werner Sobek, die alles statisch durchgerechnet haben, sprechen von „gestapelten Autobahnbrücken“.

Die Besucher – erwartet werden jährlich bis zu einer Million - erreichen vom Atrium aus über drei silberne Aufzugskabinen im Space-Age-Design die oberste Ebene. Von dort führt der museale Abstieg wahlweise durch sieben „MythenRäume“, in denen die Geschichte der Marke Mercedes von den Gründervätern Gottlieb Daimler und Carl Benz bis in die Gegenwart erzählt wird, oder durch fünf Sammlungsräume, in denen weitere Fahrzeuge nach Themen sortiert ausgestellt sind. Zwischen beiden Parcours kann man regelmäßig wechseln. Eltern mit Kleinkindern dürften die labyrinthische Struktur des Hauses verfluchen.

Dass man sich dennoch irgendwie zurechtfindet, verdankt sich der Ausstellungskonzeption von HG Merz. Der Stuttgarter Architekt und Museumsgestalter wird in Berlin für die Sanierung der Alten Nationalgalerie und wegen seines Gesamtkonzepts für die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen geschätzt. Für Mercedes hatte er bereits das alte Firmenmuseum modernisiert, ein Bau aus den Fünfzigerjahren, der sich ebenfalls in Stuttgart-Untertürkheim befindet. Merz bereitete 2001 auch den Architekturwettbewerb vor, den van Berkel schließlich gewann.

Baubeginn war im September 2003. Dass die Zusammenarbeit beider Büros ungewöhnlich eng gewesen ist, sieht man dem Ergebnis an. Oft lässt sich kaum sagen, wo van Berkel aufhört und Merz ansetzt. Das bringen auch die Zahlen zum Ausdruck: 100 Millionen Euro kostete der Bau, 50 Millionen der museale Ausbau.

Das Büro Merz traf die Auswahl der 1500 Ausstellungsobjekte und entwickelte die komplette Museumsdidaktik samt Audioguide und Beschriftungen. Das war nicht immer ohne Konflikte mit dem Auftraggeber möglich, schließlich spart Merz’ Interpretation der Firmengeschichte auch Themen wie Zwangsarbeit im Nationalsozialismus nicht aus.

Noch immer gilt: Wer einen Mercedes kauft, baut auf Tradition und Sicherheit. Mit dem neuen Marken-Museum beweist DaimlerChrysler, dass es auch anders geht.

Ab 20. Mai, Mercedes-Benz-Museum, Stuttgart-Untertürkheim, Mercedesstr. 100 Infos: www.mercedes-benz.com/museum

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