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Maria (Svenja Jung) und Gregor (Merlin Rose).

© Salzgeber

Heimatfilm „A Gschicht über d’Lieb“: Schwere Scholle

Peter Evers’ Neo-Heimatfilm „A Gschicht über d’Lieb“ erzählt von einer verbotenen Dorfromanze in den Fünfzigern. Schnörkellos inszeniert und gut gespielt.

Der Ami-Jeep, mit dem der Sohn des Wirts durchs Dorf brettert. Die aus einer Zeitung gerissene Werbung für eine Tankstelle in Kanada. Der italienische Gastarbeiter, der in der Werkstatt arbeitet. Und ein junger Mann, der Narben aus der Soldatenzeit an Körper und Seele trägt. Diese sorgsam gesetzten Details sind schon alles, was in Peter Evers’ stilsicherem Erstling „A Gschicht über d’Lieb“ (in Berlin im Delphi, OmU: Zukunft) von der Vergangenheit und Zukunft erzählt.

Sankt Peter liegt irgendwo im fränkischen Teil Württembergs. Die Gegenwart spielt Anfang der fünfziger Jahre. Und doch könnte der stattliche Hof des Bacherbauern und das dörfliche Fachwerkidyll auch in der Vorkriegszeit liegen, so archaisch wirkt diese Welt. Marias trägt schlichte Kleider und Zöpfe, Gregor fährt ein altes Moped - weder Petticoats noch Isettas oder gar Nierentische verunstalten die strenge Würde des harten Bauernlebens. Es ist ein ausgesucht schönes Setting, dem man ob seiner Aufgeräumtheit mitunter ein wenig die tatsächliche Nutzung als Freiluftmuseum ansieht.

Dazu fügen sich die atmosphärischen Bilder des Kameramanns Pascal Schmitt. Die flirrende Sommerhitze, in der die Frauen heuen. Die von Jungbäuerin Maria aufgepflügte schwere, schwarz glänzende Scholle. Die Apfelernte im Septemberlicht. Und der Frühnebel, der als Weichzeichner über Hof und Feldern liegt. Hier liegt noch die Illusion des Friedens zwischen den Menschen und ihrer Lebensgrundlage über der Landschaft.
Und doch lassen weder die abgründige Geschichte, die schnörkellose Inszenierung, noch das naturalistische, körperliche Schauspiel der Newcomer Svenja Jung und Merlin Rose als Geschwisterpaar Maria und Gregor ein Abgleiten in Heimatfilmromantik zu. Sicher, Archetypen wie der knorrige Altbauer (Thomas Sarbacher), der gierige Dorfwirt (Walter Kreye) und die fürsorgliche Großmagd (Eleonore Weisgerber) könnten auch einem Ganghofer-Roman entstammen, doch Peter Evers setzt sie in einen differenzierten Erzählrahmen.

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Der Bacherbauer beispielswiese mausert sich vom autoritären Patriarchen zu einem liebenden Vater, der seine Kinder trotz schlimmsten Tabubruchs unterstützt. Eingangs will er Sohn Gregor, der keine Lust auf die Plackerei auf dem Hof hat und von einer eigenen Tankstelle träumt, in seine Nachfolge pressen. Oder zumindest Tochter Maria, die die geborene Landfrau ist, mit dem Sohn des Wirts verheiraten, weil er sie als Nachfolgerin an Gregors Stelle nur mit Mann an ihrer Seite akzeptiert.

Eine Rebellion gegen die Tradition

Später jedoch, als die inzestuöse Romanze zwischen den Geschwistern von einer verschmähten Verehrerin Gregors im Dorfkrug ausposaunt wird und sich die allmählich decouvrierten Dorfgeheimnisse zu einer altgriechischen Tragödie auswachsen, ist er zur Umkehr fähig. Die Sorge um den Stand und das Sozialprestige tritt zugunsten der Vaterliebe zurück.

Das ist eine moderne Entwicklung, die in Peter Evers nur beim unvermittelt mörderischen Ende etwas unglaubwürdig ausfallendem Melodram auch andere Charaktere durchlaufen. Sie ist typisch für den neuen Heimatfilm, in dem in Familiendramen wie „Jonathan“ (2016) und „Verlorene“ (2018) zuletzt auffällig oft Tabuthemen wie Homosexualität, Missbrauch und Inzest beackert werden. Und zwar, ohne dabei zugleich die Provinz als Hort bigotter Heuchelei zu diffamieren. Wobei die provinzielle Enge sehr wohl als „dramatischer Verstärker“ dient.

Und so ist die Geschichte von Maria und Gregor natürlich auch ein Ausbruch, ein Aufbegehren gegen die traditionellen Plätze von Töchtern und Söhnen, Starken und Schwachen und eine Rebellion gegen Regeln, die – von Ethikern und Eugenikern alle paar Jahre erneut diskutiert – im Fall dieser Liebenden nach wie vor gelten. Inzest unter Geschwistern ist in Deutschland verboten, zumindest bei Menschen unter 18 Jahren. Und übrigens: „A Gschicht über d’Lieb“ ist trotz des Dialekts nicht nur von Franken zu verstehen.

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