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Kultur: Herold der Moderne

Kunstgeschichte wird gemacht, lautete jüngst die Erkenntnis einer Galeriausstellung über Konzeptkunst. Über die ausgewählten Beispiele von Joseph Kosuth, Robert Smithson oder Lawrence Weiner hätte Werner Haftmann wohl den Kopf geschüttelt; mit der Schlußfolgerung wäre er sicher einverstanden gewesen.

Kunstgeschichte wird gemacht, lautete jüngst die Erkenntnis einer Galeriausstellung über Konzeptkunst. Über die ausgewählten Beispiele von Joseph Kosuth, Robert Smithson oder Lawrence Weiner hätte Werner Haftmann wohl den Kopf geschüttelt; mit der Schlußfolgerung wäre er sicher einverstanden gewesen. Denn er selbst gehörte zu den Machern von Kunstgeschichte, war er doch einer der bedeutendsten Kunsthistoriker Nachkriegsdeutschlands.Als künstlerischer Leiter der ersten drei Documentas in Kassel - neben Gründungsvater Arnold Bode - lehrte er die Deutschen wieder sehen, öffnete ihnen die Augen für die versäumte Moderne und ebnete von dort aus den Weg für den Siegeszug der Abstraktion in West-Deutschland. Als Direktor der Neuen Nationalgalerie richtete er den Protagonisten der alten wie neuen Avantgarde in dem 1968 eröffneten Mies van der Rohe-Bau einen bleibenden Tempel ein und sicherte damit West-Berlin den Anschluß an die internationale Szene. Sein eigentliches, bis heute als Zeitzeugnis überdauerndes Opus war bereits Mitte der fünfziger Jahre entstanden: der Doppelband über die "Malerei des 20. Jahrhunderts", mit dem er nicht nur seine eigenen künftigen Aktivitäten - ob als spiritus rector der Documenta oder Museumschef - untermauerte, sondern auch für künftige Generationen von Kunstgeschichtststudenten die Grundlage legte.Bis zu seinem enttäuschten Rückzug im Jahre 1974 vom Berliner Posten, da die von ihm als Herold gepriesene abstrakte Malerei nicht dauerhaft ihr Niveau zu halten vermochte und er nicht zum Botschafter der zunehmend in die Museen drängenden neuen Bewegungen wie Pop-art, Land-art oder Konzeptkunst werden wollte, war er eine beherrschende Figur der westdeutschen Szene. Die Sicherheit und das Vertrauen für seine Überzeugungen in der Gegenwartskunst hatte er durch das Studium alter Meister gewonnen. Durch Forschung und eine Promotion über die Scaliger-Grabstätten in Verona und Assistententätigkeit von 1936 bis 1940 am Kunsthistorischen Institut Florenz hatten der aus dem westpreußischen Glowno stammenden Nachwuchswissenschaftler einen klaren Blick für Qualität und ein sicheres Gefühl für das Neue erworben. Die Begegnung mit Ernst Wilhelm Nay, Fritz Winter, Hermann Blumenthal, Hans Uhlmann oder Toni Stadler in schwerer Zeit festigten seinen Glauben an die Ungebrochenheit, das Reine in der Kunst zu allen Zeiten.Diese sehr persönlichen Erfahrungen prägten auch seine Wahrnehmung, seine Vorlieben in der Kunst, die viele nicht mit ihm teilen wollten. Mit Karl Hofer, dem Präsidenten der West-Berliner Hochschule der bildenden Künste, focht er in den fünfziger Jahren den Kampf abtrakte versus gegenständliche Kunst aus, in seiner berühmt gewordenen Hamburger Museumsrede von 1969 legte er sich mit den Apologeten der "Kunst-Apo" an, wie er sie nannte. Fünf Jahre später gab er auf, zog er sich vom aktiven Part als Museumsdirektor, Ausstellungsmacher, Kunstankäufer zurück und meldete sich sich nur noch als Autor aus dem selbstgewählten Exil am Tegernsee zu Wort. 1986 sollte noch einmal ein bedeutendes Werk von ihm erscheinen, aus Anlaß der fünfzigsten Wiederkehr der Münchner Ausstellung "Entartete Kunst". Von vielen als eines der wichtigsten Kunstbücher der achtziger Jahre gewertet, gab sein Band "Verfemte Kunst. Bildende Künstler der inneren und äußeren Emigration in der Zeit des Nationalsozialismus" aus der Sicht eines Zeitzeugen einen Überblick auch über all jene jungen Talente, deren Schaffen gleich im Keim erstickt worden war. Werner Haftmann ist am Mittwoch 87jährig in seinem Haus im oberbayerischen Waakirchen an Herzversagen gestorben.

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