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Der französische Schriftsteller Hervé Le Tellier, 1957 in Paris geboren.

© Thomas Samson/AFP

Wichtigste Literaturpreise in Frankreich: Hervé Le Tellier gewinnt Prix Goncourt, Marie-Hélène Lafon den Prix Renaudot

Nach der Wiedereröffnung der Buchhandlungen in Frankreich bekommt Hervé Le Tellier für seinen Roman „L’anomalie“ den Prix Goncourt.

Es ist wohl doch noch einigermaßen gut aus gegangen für Frankreichs Buchhandlungen, die nun ihr Weihnachtsgeschäft machen können.

Aber auch für die Jurys des Prix Goncourt und des Prix Renaudot, die sich beide heftiger Kritik ausgesetzt sahen: zum einen wegen der Nichtberücksichtigung von Emmanuel Carrères Buch „Yoga“, das in Frankreich viel diskutiert wurde. Zum anderen wegen der Affäre um den pädophilen, 2013 mit dem Renaudot ausgezeichneten Schriftsteller Gabriel Matzeff.

Nachdem Ende Oktober von der Regierung Macron beschlossen worden war, während des zweiten Lockdowns im Land auch die Buchhandlungen für vier Wochen zu schließen, beschloss die Académie Goncourt, ihre traditionell in der ersten Novemberhälfte im Pariser Restaurant „Drouant“ stattfindende Preisverkündigung vom 10. November auf den 30. November zu verlegen.

Le Tellier ist Präsident der Literaturgruppe Oulipo

Am vergangenen Wochenende nämlich durften die Buchhandlungen in Frankreich wieder öffnen, was nicht zuletzt den Siegern der beiden wichtigsten Literaturpreise des Landes zugute kommt. Der Prix Goncourt und der Prix Renaudot sind undotiert, die damit ausgezeichneten Romane werden jedoch sofort zu Bestsellern auf dem französischen Buchmarkt.

Vier sehr unterschiedliche Romane gelangten auf die Shortlist des Prix Goncourt, der für den besten Roman des Jahres vergeben wird: Hervé Le Telliers „L’anomalie“, Camille de Toledos „Thésée, sa vie nouvelle“, Maël Renouards „L’historiographe du royaume“ sowie „Les impatientes“ von der 1975 geborenen, aus Kamerun stammenden Schriftstellerin Djaïli Amadou Amal.
Am Montagmittag schließlich verkündete die zehnköpfige Jury des Goncourt ihre Entscheidung, und zwar nicht, klar, in der Lounge im ersten Stock des Drouant vor laufenden Kameras, sondern per Videokonferenz

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Durchgesetzt hat sich der vorab auch von der Literaturkritik in Frankreich favorisierte Pariser Schriftsteller Hervé Le Tellier. Acht Stimmen der zehnköpfigen, aus sieben Männern und drei Frauen bestehenden Jury hatten für seinen Roman „L’anomalie“ gestimmt, nur zwei dagegen für Renouards „Historiograph des Königreichs“, einen Roman über die Monarchie in Marokko in den späten fünfziger Jahren.

Hervé Le Tellier erzählt in „L’anomalie“ von einem Air-France-Flug von Paris nach New York, der in schwere Turbulenzen gerät. Die titelgebende Anomalie besteht darin, dass die Hauptfiguren dieses Romans sich ein paar Monate später ein weiteres Mal in derselben Konstellation auf eben diesem Air-France-Flug wiederfinden. Wer ist wer? Bin ich noch ich oder ist das mein Doppelgänger?.

So fragt sich das eine jede von Le Telliers Figuren, darunter eine Anwältin, ein Musiker, ein Auftragskiller und ein Schriftsteller, der wiederum selbst einen Roman mit dem Titel „Die Anomalie“ geschrieben hat. Hervé Le Tellier, der 1957 in Paris geboren wurde und zunächst Mathematik studiert hat, bevor er Anfang der neunziger Jahre mit einem Novellenband debütierte, ist ein sehr vielseitiger Autor, der neben Romanen und Erzählungen auch Gedichte und Stücke fürs Theater oder Filmdrehbücher schreibt.

Der Prix Renaudot ging an Marie-Hélène Lafon

Und er ist Präsident der 1960 von Raymond Queneau und François Le Lionnais gegründeten Gruppe Oulipo, abgekürzt für Ouvroir de littérature potentielle, Werkstatt für potenzielle Literatur. Diese Gruppe, der neben Größen wie Italo Calvino, Georges Perec oder Oskar Pastior immer schon auch Mathematiker angehörten, widmet sich seit ihrer Gründung der Entdeckung und Wiederentdeckung von formstrengen, an mathematische Ordnungen erinnernde Regeln für die Literatur.

Mehrere Bücher von Le Tellier sind ins Deutsche übersetzt worden: die Romane „Neun Tage in Lissabon“ und „Ich und der Präsident“ sowie das stark autobiografische Werk „All die glücklichen Familien“, erschienen alle bei dtv. Zuletzt wurde vor zwei Jahren beim Zürcher Diaphanes Verlag mit „Die Sextinische Kapelle“ ein Gedichtband von Le Tellier veröffentlicht.

„L’anomalie“ stand ebenfalls auf der sechs Titel zählenden Shortlist des Prix Renaudot. Den erhielt, traditionell zwanzig Minuten nach der Bekanntgabe des Goncourt-Preises, die 1962 geborene Schriftstellerin Marie-Hélène Lafon für ihren Familienroman „Geschichte eines Sohnes“.

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