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Kultur: Hinaus in die Prärie

An Selbstbewußtsein gebrach es Frank Lloyd Wright nicht.Der Produktivität des Architekten, der in einem gut sechzigjährigen Berufsleben unvorstellbare eintausend Entwürfe (und halb so viele ausgeführte Bauten) hervorbrachte, stand die Porpaganda in eigener Sache nicht nach.

An Selbstbewußtsein gebrach es Frank Lloyd Wright nicht.Der Produktivität des Architekten, der in einem gut sechzigjährigen Berufsleben unvorstellbare eintausend Entwürfe (und halb so viele ausgeführte Bauten) hervorbrachte, stand die Porpaganda in eigener Sache nicht nach.Früh schon begann der Meister, Schüler um sich zu scharen und mit ihnen aufs Land zu ziehen, zunächst nach Wisconsin und schließlich nach Arizona; dorthin, wo es noch frontiers, noch Grenzen zu meistern gab.

Die Stadt - New York zumal - war Wright verhaßt, er sah die Zukunft auf dem Land, dem weiten, unbegrenzten Land, das er freilich mit allermodernsten Siedlungen überziehen wollte.Berühmt geworden war er gleich nach der Jahrhundertwende mit seinen "Prärie-Häusern", ihren fließenden Raumfolgen und weit auskragenden Dächern, die sich der Horizontlinie einfügen."Ländlichkeit im Unterschied zum Stadtleben" - erklärte er 1931 - "ist amerikanisch und wahrhaft demokratisch." Im Jahr darauf gab er einer Veröffentlichung den bündigen Titel "The Disappearing City".In seiner Mischung aus Eroberungsdrang und unerschütterlichem Fortschrittsglauben verkörpert Wright den klassischen Amerikaner, dessen Horizont von nichts begrenzt ist als dem eigenen Willen.

"Es war einmal", so könnte das Motto einer Ausstellung lauten, die Wrights urbanistische und architektonische Visionen vorstellt.Denn was der rastlose Baumeister in den dreißiger Jahren unter dem Stichwort "Broadacre City" entwickelte und in seinem letzten Lebensjahrzehnt - das mit dem letzten von Selbstzweifeln freien Dezennium der Vereinigten Staaten zusammenfällt - als "The Living City" systematisierte, ist schlicht nicht zu verwirklichen.Es ist eine Welt aus dem Baukasten des Frank Lloyd Wright.

Diesen "Baukasten" hat das Vitra Museum im südbadischen Weil am Rhein in den Rahmen einer vorzüglichen Ausstellung gefaßt und nunmehr auf die Reise geschickt.Erste Station ist - Leipzig.Das Grassimuseum ist ein Haus mit rumreicher Vergangenheit, aber einer höchst betrüblichen Gegenwart.Der maßvoll expressionistisch gehaltene Zwanziger-Jahre-Komplex ist nach einem halben Jahrhundert der Vernachlässigung in beklagenswertem Zustand.Das Sanierungskonzept des renommierten Engländers David Chipperfield - in Berlin mit dem Wiederaufbau des Neuen Museums beauftragt - liegt auf Eis, weil die Bewilligung der erforderlichen 120 Millionen Mark nicht abzusehen ist.Stattdessen wird an schrittweisen, halbherzigen Maßnahmen gewerkelt.

Als Museum für Kunsthandwerk ist das Haus nicht auf den ersten Blick der gegebenen Ort für die Übernahme der Wright-Übersicht, doch rechtfertigt es der starke Anteil an gestalterischen Arbeiten, den die Ausstellung in wunderschönen Originalen mitführt.Man darf die Leipziger Austellung auch als ein entschiedenes Lebenszeichen verstehen und würdigen.Nicht zuletzt gilt es, in den neuen Bundesländern die Begegnung mit einem bedeutenden, aber hierzulande nicht schulbildend gewordenen Architekten der Moderne zu ermöglichen.

Moderne? Schon fangen die Schwierigkeiten an.Der 1867 im Mittelwesten geborene Wright steht außerhalb des geläufigen Kanons der Moderne, wie er sich mit der New Yorker Ausstellung zum "International Style" von 1932 durchsetzte, nachdem in Deutschland, Holland, Sowjetrußland und durch gleichfalls sendungsbewußte Einzelne wie Le Corbusier bereits jene Sprache eines "neuen Bauens" gebildet worden war, derer sich nach dem Zweiten Weltkrieg die ganze westliche Welt bedienen sollte.

Wright behauptete sich in seiner Heimat als singuläre Erscheinung.Der Schwierigkeiten - vor allem mit Bauherren - gab es unendlich viele zu überwinden, aber Triumphe feierte Wright ebenso.Daß er den letzten Triumph ausgerechnet in New York errang, wo er die Einweihung seiner Guggenheim-Museumsspirale am 21.Oktober 1959 nicht mehr erleben durfte - er starb am 9.April -, aber deren epochale Ausstrahlung erahnte, gehört als Ironie der Geschichte in eine wahrlich reiche Vita.

Doch das ist nicht Thema der Ausstellung.Ihr geht es um Wrights urbanistische Pläne.Früher als alle anderen Architekten sah er den Siegeszug des Automobils voraus; als archetypischer Amerikaner erspürte er die Übereinstimmung mit dem Ideal des allzeit selbstbestimmten Individuums.Diesem Individuum und seiner Familie wollte Wright Raum schaffen.4000 Quadratmeter sollten jeder Familie in "Broadacre City" zur Verfügung stehen - nicht weit draußen, sondern in der Stadt.Doch von "Stadt" im europäischen Sinne kann nicht gesprochen werden.Es handelt sich um wohlgeordnete Netzwerke aus Verkehrswegen - das bekannte grid, nur in großem Maßstab -, die genügend Raum lassen für Besiedlung, Landbebauung zu eigenem Bedarf, aber auch für Gemeinschaftseinrichtungen, Büros und Verwaltungszentren.Der Wrightsche Mensch bewegt sich im Auto, wovon er eines oder mehrere besitzt, und 1958, als das Buch "The Living City" erschien, nötigenfalls sogar im Hubschrauber.

Für die Ausstellung ist erstmals ein großflächiges Modell dieser "Living City" angefertigt worden.Darin stehen wohlverteilt - die Bauten Wrights.Es fällt nicht schwer, die Entwürfe eines langen Architektenlebens wiederzuerkennen.Vieles hatte Wright als Einzelbauwerke verwirklichen können; hier nun stellt er die Bauten als Elemente seiner Stadtvision in ihren Kontext.Wright unterschied neun Typen von Bauaufgaben, und sinnvollerweise folgt die Ausstellung in den ringsum die Wände bedeckenden Leuchtkästen mit Reproduktionen seiner - im Original allzu empfindlichen - Planzeichnungen dieser Einteilung, von den Einfamilienhäusern über die Bauten für die Freizeit, für die Kunst, für das Lernen und so weiter bis zu denen für den Glauben.Pragmatisch, wie er war, sah Wright in seiner "Living City" eine einzige Kirche für sämtliche Religionen vor.

Die Wrightsche Mischung aus Planungseuphorie und rauhbeinigem Individualismus frappiert.In seinen urbanistischen Vorstellungen berührte sich Wright in den frühen dreißiger Jahren sogar mit sowjetischen Planern, die die Weiten Sibiriens in einer dem "Broadacre"-Konzept nicht unähnlichen Weise besiedeln wollten.Andererseits schuf Wright Privathäuser - wie 1936 das legendäre Haus Fallingwater -, die sich nur im rücksichtslosen Anspruch auf Selbstverwirklichung rechtfertigen ließen.So blieb denn auch die europäische Resonanz auf Wrights Ideen zwiespältig.

Das änderte sich nach dem Zweiten Weltkrieg, als Wrights Ideen als Ausdruck einer "demokratischen Architektur" gefeiert wurden.Vielleicht ist es unmöglich, diese wechselnde Rezeption im Medium einer Ausstellung abzubilden; hier ist der vorzüglich aufbereitete und eigenständig nutzbare Katalog unentbehrlich.Aber erst aus dem Blickwinkel der fünfziger Jahre wird die in der Ausstellung vorgeführte, überbordende Fülle von Entwürfen für jede nur denkbare Bauaufgabe als Verheißung deutlich, die Wrights µuvre für das Europa der Nachkriegszeit bedeutet haben mochte.Geht aber der Blick des Ausstellungsbesuchers auf die gestalterischen Arbeiten, auf die bleigefaßten Glaslampen, die wuchtigen Holzstühle, die Teegeschirre und selbst die ingeniösen Schreibtische für Großraumbüros, so tritt der andere Wright hervor: der Vollender einer Arts & Crafts-Tradition, die zum 19.Jahrhundert gehört und nicht mehr zum zwanzigsten.Der heroische - und ebenso herrische - Versuch, die Welt zu gestalten, vom Löffel bis zur Stadt, konnte sich gegenüber den an die Industrie gerichteten Entwürfen etwa des "Bauhauses" nicht behaupten.Wrights Werk ist Geschichte.

Leipzig, Grassimuseum, Johannisplatz 5-11, bis 17.Januar 1999.Dienstag bis Sonntag 10 - 18 Uhr, Mittwoch bis 20 Uhr.Katalog im Verlag Skira, Genf / Mailand, 68 DM, im Buchhandel geb.98 DM.

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