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Dämmerungsleuchten. Die Großbildprojektion bespielt nicht nur das Marie-Elisabeth-Lüder-Haus.

© Deutscher Bundestag/Ute Grabowsky/photothek.net

Hingehen: "Dem Deutschen Volke", die Großbildprojektion am Reichstag: Chips zum Rosinenbomber

"Dem Deutschen Volke": Die Großbildprojektion im Spreebogen neben dem Bundestag ist ein Sommerhappening und Geschichtsstunde in einem.

Nur gut, dass es im Parlamentarismus mehr als eine Chance gibt. Vergangenes Jahr war schon von diesem und jenem zu hören, dass die Großbildprojektion am Reichstag ein entspanntes Happening an müßigen Sommerabenden ist, mit Politische-Bildungs-Appeal. Doch wie das so ist im übervollen Berliner Leben: Bis man endlich hinkommt, vergeht ein geschlagenes Jahr. Nicht schlimm. Die Umsonstund-draußen-Imagekampagne des Deutschen Bundestags ist ja auch diesen Sommer wieder da.

Gerade mal halb neun und am Reichstagsufer hocken die Ersten schon im Strahl des warmen Föhns, der sich Spreebrise nennt. Auf den Steinstufen, die gegenüber vom Marie-Elisabeth-Lüders-Haus hinunter zum matt gekräuselten Band aus flüssigem Blei führen. Hinterrücks ist der rosa Sonnenball hinterm Kanzleramtskubus versunken. Auf der drögen Reichstagswiese bestaunt von verstaubenden Touristen. Hochsommer im Regierungsviertel.

Das endlich mal zu beleben, hat der Bund Deutscher Architekten erst vor ein paar Monaten gefordert. Solange baulich nichts weiter passiert, wird vor der Spreebogen-Kulisse wenigstens wacker drauflos projiziert.

Schlag viertel vor neun startet die Beschallung mit Kaufhausmusik, lila Lichtsäulen wachsen am Waschbeton empor, die Franzosen nebenan schlachten Chipstüten, einheimische Profis stellen Klappstühle auf. Muss seltsam sein, als vorbeifedernder Jogger in all die erwartungsfrohen Mienen zu sehen, die Richtung Bullauge Lüders-Haus ausgerichtet sind.

Hier schlägt das Herz der Demokratie oder es schlägt nicht

Viertel nach geht es los. An der Stirnseite des Jakob-Kaiser–Hauses bauen sich leuchtende Buchstaben auf. Sie zitieren die um die Ecke am Wallot-Bau prangende Inschrift „Dem Deutschen Volke“. Das ist der Titel der allabendlich in der Dämmerung gezeigten Multimediashow (bis 3. Oktober, Anfangszeiten: www.bundestag.de/grossbildprojektion). Außerdem heißt sie „Eine parlamentarische Spurensuche – vom Reichstag bis zum Bundestag“, was den Inhalt der nun folgenden 30 Minuten präzise beschreibt.

„Hier schlägt das Herz der Demokratie oder es schlägt nicht“, leitet die Stimme von Bundestagspräsident Norbert Lammert den Beginn des Geschichtsabrisses vom Kaiserreich bis heute ein. Illustriert wird die Schulstunde mit grobkörnigen historischen Bildern, Lichteffekten und Visuals, die außer dem Bullauge auch die Freitreppe des Lüders-Baus, das Dachsegel und – etwa bei den stilisierten Luftbrücken-Rosinenbombern – den Abgeordentensteg über der Spree bespielen. Ja, die von johlenden Partybooten durchkreuzte deutsche Geschichte birgt manchen Gänsehautmoment. Mit Norman Fosters in der Dunkelheit strahlender Glaskuppel im Rücken wirkt die zerbombte Reichstagsruine drüben im Bullauge erst recht zwiespältig. Was der Projektion fehlt, sind Pathos (schön) und Mut zur künstlerischen Abstraktion (schade).

Genau wie der Souverän, das deutsche Volk, ist sie brav und bodenständig.

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