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Heimsuchung. Wolfgang Michael spielt den Penner Thomas Herg, das „Phantom“, mit dem die koloniale Vergangenheit wiederkehrt.

© Matthias Horn

Dieudonné Niangouna am BE: Hinter der weißen Maske

Dieudonné Niangouna gilt bedeutendster Theatermann des französischen Afrika. Am Berliner Ensemble inszeniert er „Phantom“, ein Stück über die deutsche Kolonialvergangenheit.

Als Dieudonné Niangouna vor zehn Jahren in Avignon sein Solo „Attitude Clando“ aufführte, erlebte man die Selbstschöpfung eines Menschen kraft seiner Sprache. Da wurde aus einer anonymen Figur im globalen Flüchtlingsstrom eine rhetorische Großmacht. Da entstand aus Alltagssituationen eines individuellen Schicksals eine Figur mit universeller Bedeutung. Jetzt erlebt man, wie der aus Brazzaville stammende Autor, Regisseur und Schauspieler in den Ritualen des deutschen Stadttheaters versinkt. Das ist Erfolg und Scheitern zugleich.

„Phantom“ heißt das Auftragswerk, das Niangouna für das Berliner Ensemble geschrieben und urinszeniert hat: Familie Zoller fristet auf einem Herrensitz im Schwarzwald ein freudlosen Dasein, bis ein alter Mann auftaucht und mit ihm die verdrängte koloniale Vorgeschichte. Wolfgang Michael spielt das „Phantom“, den Penner Thomas Herg, der von sich behauptet, die im Haus die Fäden zusammenhaltende Martha zu lieben, eine Frau, die er schon in Afrika begehrt haben will. Damals schuftete sie als weiße Sklavin auf der Kakaoplantage des Alexander Zoller. Josefin Platt spielt Martha als Despotin, die gegen ein Aufklärungsbegehren antreten muss, das in Thomas Herg als Inbegriff der Liebe daherkommt.

In Niangounas Mikrokosmos soll deutsche Kolonialvergangenheit in Kamerun und Namibia thematisiert werden. Die im Heute angesiedelte Familienchronik von Vater Plantagenbesitzer und seinen ratlosen Kindern im Schwarzwald wird mit den historischen Fakten synchronisiert. Diese Vergangenheit konnte verdrängt werden, weil ihre staatliche Komponente vor 100 Jahren endete. In Niangounas Stück treffen fünf Einstellungsmuster aufeinander: Der junge Kevin (Patrick Güldenberg) will sich aus dem Familiengefängnis befreien, sein Vater Hermann (Oliver Kraushaar) will das Gutshaus verkaufen, um den Neuanfang zu wagen, Schwester Maria (Bettina Hoppe) nimmt den existenziellen Umbruch als Erkenntnismöglichkeit an. Jeder bekommt im Monolog die Möglichkeit, sich neben seine Figur zu stellen und deren Einstellung als Welterklärungsrede zu erläutern.

An Minderheitsdiskurses kein Interesse

Nur Martha bleibt bis kurz vor Schluss eine Festung gegen die Mächte der Einsicht. So lange, bis das Stück im Kellergeschoss angekommen ist, Symbol für die Erinnerung. Alexander Zollers altes Zimmer hat Eindringling Thomas in Beschlag genommen. „Es gibt nur eine einzige wirkliche Rückkehr für den Menschen. Das Bad in den Eingeweiden des Vaters“, sagt er allen Ernstes.

Wenn er da hineinpinkele, so erklärt anschließend Hermann, dann wären die Sünden des Vaters gebüßt, und dabei muss Martha behilflich sein. In dieser Wendung soll das dunkle Kapitel kolonialer Verbrechen getilgt werden. Später sieht man Martha und Thomas strahlend, ein Happy End. Die Liebe, die vor 30 Jahren in Afrika aufkam, ist in Erfüllung gegangen und das Buschfeuer gelöscht, das Thomas einst entfachte, um Martha zu befreien, ein Feuer, das Alexander Zoller und viele andere tötete.

Das Stück will mit seiner wilden Metaphorik weg von Dramaturgien, die sich mit Ibsen, Roland Schimmelpfennig oder Martin Crimp vergleichen ließen, raus aus dem Gefängnis einer Stadttheaterdramaturgie. Statt selbst eine Brandrede gegen den deutschen Kolonialismus zu halten oder die neokolonialistische Ausbeutung anzuprangern, hat sich Niangouna mit dem Penner Thomas, dem Weißen, der in Afrika blieb, während alle anderen Deutschen nach erfolgter Ausplünderung verschwanden, eine weiße Maske aufgesetzt. Er bedient sich ästhetischer Instrumente, mit denen er das Ghetto des postmigrantischen Theaters, Kulturmoden der Black Community hinter sich lässt. An Minderheitendiskursen hat er ohnehin kein Interesse. „Für mich gibt es kein schwarzes Publikum, für mich gibt es kein weißes Publikum“, sagte er einmal. Insofern ist „Phantom“ ein Erfolg.

Im deutschen Ensembletheater kann seine Poesie nicht atmen

Aber der afrikanische Künstler hat die Collagemethode aufgegeben, die zuletzt seine „Trilogie des Schwindels“ zu einer furiosen Ideenreise gemacht hatte. Da sah man ihn als Sisyphos, der einen riesigen Globus vor sich herrollt. Vom universalen Weltmenschen war da die Rede. Aber das meinte nicht den weißen Menschen der Kant’schen Aufklärung, sondern den im Absurden lebenden Menschen eines Albert Camus. Niangounas Theater ist eines der frei fabulierenden Rede, der assoziativen Monologe. Sein Autorentheater tritt auf, als kämpfe es unentwegt um sein Leben.

Als Niangouna im kongolesischen Bürgerkrieg monatelang von Rebellen festgehalten wurde und dann exekutiert werden sollte, erkannte ein Milizionär in ihm plötzlich den Schauspieler wieder, den er einmal auf einer Bühne gesehen hatte. Das hat dem Künstler das Leben gerettet. Sein Theater erzählt seitdem immer vom Wunder des Überlebens. Niangouna hat in Brazzaville ein Festival gegründet und pendelte als bedeutendster Theatermann des französischen Afrika zwischen Paris und dem Kongo, bis er nach einem offenen Brief an den Präsidenten zur Persona non grata wurde.

Heute ist er im europäischen Kultursystem angekommen. Aber im deutschen Ensembletheater, für das er hier erstmalig schrieb, kann seine Poesie nicht atmen. Ein Homme-Monde ist sein Phantom, sein globaler Penner Michael so wenig, wie seine Martha ein Bild ist für die ihre Wurzeln verdrängende Mama Europa.

Wieder am: 16. 4.; 1., 2., 3. und 7. 5.

Eberhard Spreng

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