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Kultur: Hitze der Nacht

Mehr als eine Hausnummer: Mit „3121“ kehrt Prince als Großmeister des Funk zurück

Wie tief muss ein Mensch sinken, bevor er begreift, dass er am Ende ist? Als es Prince wirklich an den Kragen ging und er hätte einsehen müssen, dass seine Finanzen zerrüttet waren und der Rechtsstreit mit seiner Plattenfirma ihn viele Sympathien und noch mehr Kraft kostete, da bemerkte er ein unangehmes Herzklopfen. Nicht von der Art, wie man es vor Aufregung empfindet. Ein stechender Schmerz im Brustkorb ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Er schluckte Aspirin-Tabletten. Aber das Klopfen wurde stärker. Also schüttete er eine Flasche Wein hinterher – und kollabierte. Er, der einmal einer der größten, unanfechtbarsten Popstars seit den Beatles gewesen war, wurde in die Notaufnahme des Fairview-Southdale-Krankenhauses eingeliefert. Dort übergab er sich. „Irgendwie“, schreibt der Biograf Alex Hahn über diesen Moment im April 1996, „hatte Prince die Kontrolle verloren.“

Es gehört zum melodramatischen Wesen von Prince Rogers Nelson, dass die Dinge durch ihn eine eigenartige Dimensionenverschiebung erleben. Während die Popgeschichte etliche Fälle auflistet, bei denen sich Popstars seines Kalibers zu Tode getrunken haben, in erdabgewandten Luxustempeln als Heroinjunkies verendeten oder bei einem Autounfall draufgingen, läuft der Abstieg bei Prince auf eine mittelschwere Alkoholvergiftung hinaus. Mehr hat „Besessen“, die von Alex Hahn verfasste Lebensgeschichte des Superstars, an Katastrophen nicht aufzubieten (Hannibal Verlag, Höfen, 386 Seiten, 24,90 €), um die latente Gefährdung des für seine unerschöpfliche Arbeitswut berüchtigten Musikers zu belegen. In Deutschland erscheint das Buch gerade rechtzeitig, um Prince’ Wiederkehr als grandioser Popkünstler mit Anekdoten zu füttern. Denn mit „3121“ dem 34. Studioalbum des notorischen Alleskönners, das am Freitag herauskommt (Universal), zeigt sich Prince nach Jahren des gehobenen Muckertums, des tristen Jazz-Gediedels und religöser Erweckungsfantasien endlich wieder als frivoler Lustmolch. Als ein Meister des Funk, in dessen hitzigen Stomp-Krachern Musik und Sex zueinanderfinden.

Schon der Titeltrack „3121“, der angeblich Prince’ Hausnummer bezeichnet, ist eine mitreißende Party-Einladung. Aus einem wummernden, schleifenden Midtempo-Beat schält sich die Stimme des Hausherrn und verspricht „so much fun“. Dazu jault die Gitarre, das Schlagzeug ächzt. Ein Kindergeburtstag wird da nicht gefeiert. Tatsächlich wurde die Platte, die wie das Vorgänger-Album „Musicology“ von einem Majorlabel vertrieben wird, in den Bergen von Hollywood unter obskuren Bedingungen der angereisten Öffentlichkeit vorgestellt.

„U can come if u want 2/ But you can never leave“, stand auf der Einladung zu dem exklusiven Event, ein Zitat aus „3121“. Eine Party zu feiern, das ist im Königssohn-Universum des 47-jährigen Knaben aus Minneapolis die natürlichste Ausdrucksform des Pop. Man lässt die Sau raus und erinnert sich am besten nicht mehr dran – irgendjemand wird’s schon bezahlen. „Wir machen diesen Tisch zu unserer Tanzfläche“, erklärt Prince auch diesmal. Womit erneut der unterschwellige Voyeurismus anklingt, der seine Gedankenwelt durchzieht. Das Begehren funktioniert als Stripshow.

Wobei: Eine gewisse Zugeknöpftheit ist von Prince’ religiösem Pilgerwahn auch an diesem Album hängen geblieben. Frivol ist der bekennende Zeuge Jehovas nur noch in dem Sinne, dass Sex zwar vorkommen darf, aber nicht mehr unter seinem eigenen Namen. Da wird gestöhnt, gezetert, werden die Lippen geschürzt, Prince‘ Falsett-Stimme schraubt sich in verzückteste Höhen, doch wenn er „let’s do it“ sagt, denkt man nicht unweigerlich an Sex. Auch ein Song wie „Lolita“, der Prince’ Affinität zum Supergirlie aufgreift, ist ein merkwürdig verhaltener Appell. Statt zerwühlter Kissen und der unersättlichen Lust am Kindfrauenkörper, hört man Prince vom Stolz des Mannes singen: „You don’t make a cheater out of me.“

„Dirty Mind“ hieß 1980 das erste großartige Album, mit dem Prince dem sexuellen Begehren musikalisch Ausdruck verlieh. Neben Michael Jackson und Madonna war der „sexy Motherfucker“, wie er sich titulierte, fortan für die raueren Töne verantwortlich. Hits wie „Little Red Corvette“, „When Doves Cry“, „Kiss“ und „Alphabeth St“ waren süßlich überzuckerte, aber auch illusionslos hämmernde Beschwörungen.

Er knüpfte an die R’n’B-Tradition seiner großen Vorbilder Sly Stone und James Brown an. Wie Stone, dessen Verbindung von Soul-, Rock- und Pop-Einflüssen für Prince von Jugend an großen Eindruck machte, glaubte er auch, alles selbst machen zu können. Und seine Erfolge schienen ihm Recht zu geben. Mit 19 unterzeichnete er seinen ersten Plattenvertrag, der ihm weitgehend freie Hand ließ. Immer wieder stellte er exzellente Bands zusammen, die seinen ausgefeilten Pop- Hymnen einen erdigen Sound verpassten. Von den Dollarmillionen, die ihm Megaseller wie „Purple Rain“ (1984), „Parade“ (1986) und „Sign O’The Times“ (1987) bescherten, ließ er sich einen großen Studiokomplex errichten. Und obwohl Paisley Park einer ganzen Reihe von Musikern offen stehen sollte, wurde es bald zum Privatrefugium eines Musikers, der – wie man bei Politikern sagt – vollkommen „beratungsresistent“ war.

Ein Jahrzehnt hielt sein Höhenflug an. Seine Plattenfirma machte ihn sogar zum Vizepräsidenten. Doch dann überspannte er den Bogen. Sein Wunsch, die Fülle an Songs, die er in seinem Reich mit eiserner Disziplin am Fließband produzierte, ohne jede Qualitätskontrolle auf den Markt zu werfen, rief die Gewaltigen der Branche auf den Plan. Sie entmachteten Prince. Das traf einen Nerv bei dem Scheidungskind, das in seiner Jugend nur herumgeschubst worden war und in der Musik ein Mittel gefunden hatte, sich Anerkennung zu verschaffen. Ein bizarrer Rechtsstreit hob an, in dessen Folge Prince seinen Namen ablegte, sich das Wort „Sklave“ auf die Wange schrieb und sich bitter über die Knebelverträge der Branche beklagte.

Auf seine Produktivität hatte das alles verheerenden Einfluss. Nicht, was den Ausstoß an Songs betraf. Wohl aber, was er aus ihnen machte. Ob auch der traurige Tod seines Kindes, das 1996 schwerstbehindert auf die Welt kam und kurz darauf starb, eine Rolle gespielt hat, bleibt sein Geheimnis. Singles veröffentlichte er seitdem praktisch keine mehr.

Mögen sich also die Experten streiten, ob „3121“ das beste Album seit „Lovesexy“ oder „Emancipation“ ist. Schmeichelhaft ist beides nicht. Entsetzlich lange wandelte er auf musikalischen Irrwegen. Nun also eine Art Comeback. Balladen wie „Incense and Candles“ wechseln mit flammenden Funk-Grooves. Einschmeichelnde Bläser-Riffs, Streicher und Fanfaren-Getöse. In „Love“ erinnert eine markante Synthesizerfigur, die auf den schlammigen Beat einpeitscht, daran, wie großartig das Pop Live á la Prince sein kann. Wir hätten es beinahe vergessen.

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