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Kultur: Hol’s der Teufel

„A Bigger Bang“: Die Rolling Stones verblüffen mit einem Blues-Manifest

Wie unwahrscheinlich die Entstehung des neuen, 29. Studioalbums der Rolling Stones war, kann man am besten mit einem Blick auf die Wohnorte der Musiker ermessen. Gitarrist Ron Wood hält sich gewöhnlich in Dublin auf, Charlie Watts bewohnt ein altenglisches Gut, Keith Richards lebt mit Familie unweit von New York in einem großen Haus in Connecticut, und Mick Jagger pendelt zwischen seinen diversen Heimen: zwischen Richmond, London, New York, Hollywood, einem Anwesen auf der Karibik-Insel Mustique und seinem Loire-Schloss La Fourchette. Da wissen nicht nur die anderen nicht, wo sie ihn erreichen können, er selbst vermutlich weiß es am wenigsten. Trotzdem schwingt im Inneren der viel verspotteten, ewig juvenilen Rockerseelen ein Pendel, das sie immer wieder zuverlässig zusammenführt: Am Montag erscheint ihr neues Album. Trotz des Reichtums und Ruhms, trotz der Affären, Therapien und Entziehungskuren, der Aversionen untereinander. Und trotz der Gefahr, wieder einmal grandios – denn kleiner geht es ja nicht – zu scheitern.

Zunächst rafften sich auch diesmal die beiden Zankhähne und „Glimmer Twins“ Jagger und Richards auf und trafen sich in Jaggers französischem Domizil, wo sie im Ambiente des Spätbarock die Grundzüge von „A Bigger Bang“ konzipierten (Virgin). Die anderen beiden wurden später hinzugebeten, als Erfüllungsgehilfen. Nach acht Wochen war die Arbeit getan, und man zog wieder von dannen. Im „Rolling Stone“-Magazin sagt Richards ungerührt, er glaube, dass Charlie Watts als Schlagzeuger auf den fertigen Aufnahmen zu hören sei, aber sicher sei er sich nicht. Das zeigt, wie locker die Bande in diesem Quartett der über Sechzigjährigen mittlerweile geknüpft sind.

Man kann aber auch ganz schön durcheinander geraten bei dem wüsten Geschepper und dem rumpelnden Blues-Gediedel, das die alten Herren auf „A Bigger Bang“ entfesseln. Der Auftakt „Rough Justice“ spannt sogleich den Bogen von sägenden, wimmernd-ächzenden Gitarren zur Vergänglichkeit des adonishaft Männlichen, das sich früher immer neuen Liebschaften zugewendet hätte. Vorbei. Nun werden eher Schicksalsgemeinschaften beschworen, illusionslos aufs Durchhalten bedacht. Man wirft sich böse Sätze an den Kopf, kratzt an den Eitelkeiten des Partners. Umsonst. Er wird sich ja doch nicht mehr ändern, und vielleicht springt – immerhin – ein unerwartet nettes Kompliment dabei heraus wie das, man sei eine Fledermaus, die direkt aus der Hölle herausgeflogen sei.

Solche Anspielungen lassen sich natürlich auch als Kommentar auf die wechselvolle und düstere Band-Geschichte lesen. Die dämmert dieser Tage umso stärker herauf, als die Gentlemen-Rocker plötzlich ein jedem Zeitgeist fernes, klassisches Rock-Album machen. Gerade sie, von denen Rio Reiser einst behauptete, sie seien so sehr Dilettanten, dass sie niemanden kopieren könnten, nicht einmal sich selbst. Schon kursieren Vergleiche mit dem legendären „Exile On Main Street“ (1972), weil der Blues als Gemütslage den 16 Songs etwas durchgängig Unumstößliches gibt. Keine gespreizten Anbiederungsversuche an aktuelle Sounds und Trends, keine Häutung, keine Effekte. Stattdessen ein aus den Sümpfen des Gedächtnisses geborgenes Blues-Manifest. Eine Platte „aus einem Guss“ habe die Band machen wollen, heißt es, und so übernehmen die Gitarren paarweise oder zu dritt das Regiment, stolzieren durch eine grob zusammengeknüppelte Welt voller Blessuren.

Da erklingt „Back Of My Hand“, als wollten Woods Slide-Gitarre und Jaggers Mundharmonika den Teufel an jene crossroad zurücklocken, an der Robert Johnson einst seinen berüchtigten Pakt schloss. Mit „Rain Fall Down“, einer lüstern pumpenden Sex-Fantasie, zeigen sie ihre tanzbare, funky Seite. Großartig auch „Let Me Down Slow“, ein Song, der bis zum Refrain von Bruce Springsteen stammen könnte, aber dann durch eine lodernde, wunderbar stürzende Pop-Melodie überrascht.

Bereits im Vorfeld hatte „Sweet Neo Con“ für Aufregung gesorgt. Darin wird auf Präsident Bush als „hypocrite“ (Heuchler) und „crock of shit“ angespielt. Doch als politisches Pamphlet muss man dem Lied vor allem seine Einfallslosigkeit ankreiden. Jagger, dem stets der Ruch eines pragmatischen Geschäftssinns anhing, wollte diese Attacke unbedingt, Richards hat mitgemacht, ohne überzeugt zu sein, das hört man. Die Wut bleibt eine stumpfe Klinge.

Eine neue Stones-Platte brauche niemand mehr, lautet ein häufiges Urteil. Nicht zum Atmen, nicht um sich lebendig zu fühlen. Mag sein. Also wieder nur ein Werk für jene, die sich jede Stones-Platte kaufen (und es seit „Some Girls“ bereuen)? Ein Treuebonus ist „A Bigger Bang“ nicht. Vielmehr eine sperrige, rohe, bewusst unfertig gehaltene Rückbesinnung. Alles, was junge Bands wie die Libertines, Hives oder die – ach, so hochgelobten – Kaiser Chiefs den Stones abgeguckt haben, hier kommt es als pure Essenz über die Epigonen, als Originaltheater. Auch lernt man, wie man sich Vorbildern nähert, den schwarzen, die nie ein Schloss besessen haben. Nicht durch Kopie und Zitat werden die verschatteten Stimmungen des Südens lebendig, sondern durch Anverwandlung. Ein Tanz mit den Skeletten der Jukebox.

Jetzt, da noch vor Erscheinen der Platte eine gigantische, auf zwei Jahre angelegte Welt-Tournee die Rolling Stones erneut in einen stählern-logistischen Lindwurm verwandelt, versucht man sich ihrer Präsenz zu erwehren, mit Witzen über Altersheime, geriatrische Aufbaupräparate und Potenzmittel. Dabei sehen ihre Gesichter, ausgemergelt und verlebt, besser aus denn je. In Steine gemeißelt.

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