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Kultur: Hört einfach auf eure Herzen

Miloš Karadaglic ist in Montenegro ein Star. Jetzt tritt der Gitarrist in der Berliner Passionskirche auf.

Eigentlich hätte Miloš Karadaglic als Kind gern etwas anderes als Gitarre gelernt. Doch ein Klavier war seinen Eltern zu teuer, bei der Geige fürchteten sie die schrägen Töne, die Anfänger üblicherweise produzieren. Enttäuscht holte sich der Junge aus Montenegro eine alte, verstaubte Gitarre vom Schlafzimmerschrank, zupfte an den übrig gebliebenen Saiten – und war hingerissen. Inzwischen ist er 29 und wird als einer der besten Konzertgitarristen seiner Generation mit internationalen Preisen ausgezeichnet.

Den unmittelbaren Zugang, den er selbst zu seinem Instrument fand, spürt er oft auch bei seinem Publikum. „Mit der Gitarre können wohl die meisten Menschen etwas anfangen“, meint er. Auf seinem aktuellen Album „Latino“ hat er populäre argentinische Tangos wie „La Cumparsita“ aufgenommen, die dort jeder auf der Straße kennt. „Por una cabeza“ von Carlos Gardel ist Kinogängern als Soundtrack zahlreicher Filme bekannt. Neben diesen Ohrwürmern spielt er aber auch klassische Kompositionen von Heitor Villa-Lobos oder Manuel Ponce, die der Gitarre den Weg in die Konzertsäle bereitet haben. „In Lateinamerika haben die Menschen Rhythmus im Blut“, sagt er. „Tango, Samba, Pop und Klassik liegen dicht beieinander, ganz anders als in Europa, wo alles säuberlich voneinander getrennt wird. Wir sollten die Musik mit all unseren Sinnen genießen, ohne nachzudenken, woher sie stammt.“

Im kleinen Montenegro mit gerade einmal 600 000 Einwohnern wurde Miloš nach seinem Gitarrenstudium früh ein Star. Während der Balkankriege war der Staat, der damals zu Jugoslawien gehörte, isoliert. Darum nahm der Teenager Einladungen ins Ausland an, sobald es die politische Lage zuließ. Er wurde von dem bekannten Kollegen David Russell gefördert und setzte mit 17 Jahren seine Ausbildung an der Royal Academy of Music in London fort. Seine Wurzeln im Mittelmeerraum hat Miloš dabei nie vergessen. Auf seiner ersten CD „Mediterráneo“, die 2011 bei der Deutschen Grammophon erschien, kombiniert er die spanischen Klassiker „Asturias“ von Isaac Albéniz und „Andaluza“ von Enrique Granados mit Stücken aus anderen Mittelmeerländern wie Griechenland und Italien. „Die Araber brachten die Gitarre nach Spanien, und der östliche Mittelmeerraum war lange Zeit Teil des Osmanischen Reiches“, erklärt er. „Ich als Montenegriner sehe mich in der Mitte.“

Vom Mittelmeer aus führte der Weg für Miloš direkt nach Südamerika. „Das war ein ganz natürlicher Schritt. Die lateinamerikanischen Komponisten haben viel für die Weiterentwicklung des Gitarren-Repertoires getan“, erklärt Miloš, der an seiner rechten Hand lange, sorgfältig manikürte Fingernägel hat, um die Saiten besser zupfen zu können. Villa-Lobos und Ponce haben Werke für den legendären Musiker Andrés Segovia geschrieben. Und ihm habe man es schließlich zu verdanken, dass das Instrument auch in den Konzertsälen angekommen sei.

„Mancherorts führt die Gitarre aber ein Nischendasein“, bedauert er. „Meine Mission: Ihre Wiedergeburt!“ Auf dem „Latino“-Album zeigt er die große Vielfalt lateinamerikanischer Musikstile von brasilianischen Rhythmen über Milongas bis zum „Tango Nuevo“ von Astor Piazzolla. „In meiner Studienzeit in London wollte jeder Piazzolla spielen“, erinnert er sich. Stücke wie „Libertango“ und „Oblivion“ waren während der klassischen Ausbildung kleine Fluchten. Die Harmonien sind nicht so kompliziert, aber sie treffen den Nerv des Zuhörers.

Einige Titel des Albums sind für Orchester arrangiert worden. Die Zusammenarbeit mit anderen Musikern empfindet Miloš als sehr inspirierend: „Man hört aufeinander. Gemeinsam Arrangements zu spielen ist so, als wenn man Kammermusik aufführt. Bei Solo-Auftritten entscheide ich selbst, wie viel Zeit ich mir nehme. Wenn andere dabei sind, muss ich meine Verrücktheit ein bisschen zügeln.“ Bei manchen Stücken hat er spontan Lust zu tanzen, wie er zugibt. In der Zukunft kann er sich deshalb auch gemeinsame Auftritte mit Tänzern vorstellen. „Die Bewegungen des Körpers sind eine natürliche Reaktion auf Musik. Anders als Lateinamerikaner sind Europäer aber viel kontrollierter und steifer.“ Tanzen sei hier kein Flirt, meint er – kein Gespräch zweier Körper miteinander. In Puerto Rico dagegen hat er einmal erlebt, wie Leute in einem Armenviertel plötzlich ein Transistorradio anschalteten und anfingen zu tanzen. Alle amüsierten sich, es war, sagt Karadaglic, der schönste Abend seines Lebens. Corina Kolbe

Am 11. Januar um 20 Uhr stellt Miloš Karadaglic sein Album „Latino“ in der Passionskirche (Kreuzberg) vor.

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