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Kultur: Ich bin ich

Und du bist dumm: Rosenstolz melden sich mit einem neuen Album zurück

Anna und Peter verstehen dich. Sie sagen wie gut es ihnen geht oder wie schlecht, und dann, wie gut es dir geht. Oder wie schlecht. „Das bin ich / Das alleine ist meine Schuld“, singt Anna auf dem neuen Rosenstolz-Album „Das große Leben“, das heute erscheint (Universal). Und weiter heißt es: „Nichts von alledem tut mir Leid“. Oder auch: „Ich bin verändert, irgendwie“. Aber dann folgt der Vorwurf: „Du leidest viel zu gerne“. Was dagegen zu tun ist, weiß das Duo auch: „Du musst nur weitergehen“. Scheint aber nicht hinzuhauen, denn es folgt der Satz, der wie ein Abschied klingt: „Du machst mich dumm“. Rosenstolz sind das Gegenstück zur deutschen Popliteratur: Befindlichkeitslyrik mit starkem Zug zum Poesiealbenkitsch und mit überragender Bedeutung der drei Wörter „irgendwie“, „du“ und „ich“.

Ihr Einfluss auf die Neuerfindung des Schlagers als Deutschpop ist mindestens so groß wir der von Wir sind Helden. Als sie Anfang der Neunziger in einer Küche in Berlin-Friedrichshain Lieder wie „Kuss der Diebe“ erfanden, war deutschsprachiger Pop noch etwas Unerhörtes. Ihre Platten blieben bleischwer in den Regalen liegen. Doch die Nischenband der Schwulen- und Lesbenszene erreichte auch das große Publikum – und das keineswegs mit großem Trara, sondern allmählich erst und beharrlich, bis sie mit „Herz“ (2004) über 400 000 Alben verkauften. „Willkommen in meiner Welt“ war nicht nur der Song zum Coming-of-Age-Drama „Sommersturm“, sondern die euphorische Weltumarmungsgeste einer Band, die es von der Keller- und Küchenkapelle zum nationalen Star-Ensemble gebracht hat, samt ausverkauften Riesentourneen.

Danach kündigten Rosenstolz erschöpft eine einjährige Pause an. Doch kaum waren sie von der Bühne verschwunden, begann Peter Plate, Rosenstolz-Keyboarder und -Komponist, bereits mit der Arbeit an neuen Stücken. Deshalb hat sich auch wenig geändert: Es gibt immer noch schwer Erträgliches an dieser Musik, einen fiesen Hauch Kleinkunstprätention, diese „Gefühle-müssen-raus“-Attitüde von Juliane Werding, gepaart mit der Impertinenz von Pur. Bereits mit „Herz“ fiel der Blick ins eigene Seelenleben; eine Selbsterkundung, die mit „Das große Leben“ fortgesetzt wird.

Im Januar wurden die neuen Stücke im Berliner Zeiss-Planetarium präsentiert, ein angemessener Ort für ein Balladen-Album, das viel Stoff bereithält für Wunderkerzenmeere. Rosenstolz bemühen sich um einen eher getragen-intimen Klang, mit viel Analoginstrumentarium, eingespielt vorwiegend in Live-Sessions. Es sind durchaus gute Stücke darunter: eingängig schöne Popsongs wie „Ich bin ich“ oder „Anders als geplant“ werden wohl zu ähnlicher Omnipräsenz finden wie „Liebe ist alles“, mit dem Rosenstolz vor zwei Jahren den Durchbruch schafften.

Man spürt das Bemühen um Reife und Klassizität – es soll nicht mehr Schlager sein, nicht mehr Szeneband, nicht mehr schwul, sondern anspruchsvoller Pop für alle. Wenn sich jetzt noch ein anständiger Texter auftreiben ließe. Denn leider atmet das gesungene Wort hier immer noch den Geist der „Harzer Heimatsänger“, bei denen Peter Plate seine Laufbahn begann. Ein ums andere Mal greifen Rosenstolz unerschrocken tief ins Schmalztöpfchen. Es ist daher nicht schwer, über die Texte zu spotten – sie sind eben das höchste Ausdrucksmittel, über das Rosenstolz verfügen.

„Die Leute mögen es, wenn wir ihre Emotionen stellvertretend auf der Bühne zeigen“, sagte Anna einmal. Aber so ist Rosenstolz: Die einen erfüllt die geborgte und sorgsam gerahmte Gefühlslyrik mit Abscheu, die anderen mit der wohligen Gewissheit, von dieser, wie es im Begleittext heißt, „musikgewordenen Lebenshilfe“ aufgefangen und verstanden zu werden – und zwar mal so richtig.

Rosenstolz, 12. April, Columbiahalle.

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