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Kultur: „Ich schneide mir gerne ins eigene Fleisch“

Wie man sich beim Fernsehen unbeliebt macht: Hans Weingartner dreht in Berlin seine Mediensatire „Free Rainer“

Im Saal Berlin B des Maritim Hotels. Der Fernsehsender „TTS“ feiert sein zehnjähriges Bestehen und seine Marktführerschaft. Tafeln sind gedeckt, Lüster erleuchtet, Assistentinnen in cremefarbenen Seidenblusen füllen das Eis für den Champagner nach. Moritz Bleibtreu, im eleganten, silbergrau glänzenden Anzug, schreitet eilig nach vorne und setzt sich an den Tisch mit der Nummer 1. „Nee, so doch nicht“, sagt der Regisseur. „Alphatiere sitzen nicht so nahe am Tisch.“

Hans Weingartner und sein Hauptdarsteller proben für „Free Rainer“, einen Film über einen Fernsehproduzenten, der sein Leben umkrempelt und eine kulturelle Revolution gegen das Fernsehen anzettelt. Wie schon in Weingartners furiosem Debüt „Die fetten Jahre sind vorbei“ liegt auch „Free Rainer“ die Frage zugrunde, die den österreichischen Regisseur, studierten Neurochirurgen und ehemaligen Hausbesetzer, seit seiner Jugend umtreibt: Wie kann man heute noch politisch revoltieren? In über 50 Länder wurde sein mit Preisen überhäufter Erstling verkauft. Jetzt dreht Weingartner mit seinem Team in Wien, Berlin und Beelitz, Brandenburg, und wenn nicht alles täuscht, darf man wieder etwas sehr Spezielles erwarten. „In den ,fetten Jahren’ ging es um die Befragung der Klassenverhältnisse“, sagt Weingartner, „jetzt geht es um die Befragung des Geistes.“

Erfolgsdruck will Weingartner, der Erfolgsverwöhnte, allerdings keinen spüren, im Gegenteil. „Ich bin in der glücklichen Lage, einen großen Kinofilm zu drehen und dabei trotzdem unabhängig zu sein.“ Weingartner nahm die Erlöse und Preisgelder und gründete seine eigene Produktionsfirma Kahuuna Film. Kahuuna – so nennt man auf Hawaii die Propheten. „Free Rainer“ sei kontrovers und werde sicher auch kontrovers aufgenommen, munkelt sein Schöpfer. Was den Film so kontrovers macht, will Weingartner nicht preisgeben. Nur so viel: „Ich werde danach nie wieder fürs deutsche Fernsehen arbeiten können.“

Derart explizite Medienkritik – schneidet man sich da als Filmemacher nicht ins eigene Fleisch? „Ich schneide mir gerne ins eigene Fleisch“, sagt Weingartner, „das gehört dazu.“ Sein Hauptdarsteller Moritz Bleibtreu ist ganz seiner Meinung, gibt seinem Unbehagen am Fernsehen freilich eine etwas andere Stoßrichtung. „Ich mache meine Arbeit. Das ist oft mühevoll, und dann will ich auch, dass man das wahrnimmt, ohne Werbeblöcke und Ausschaltknopf. Kino ist etwas, das man sich vornimmt. Wenn man ins Kino geht oder ins Theater, da will man auch etwas bekommen.“ Bleibtreu weiß, wovon er spricht, er war selbst Teil des Versendungssystems, das er heute ablehnt. Seit acht Jahren mache er nichts mehr fürs Fernsehen. Es ist nicht leicht, nur von der Präsenz auf der Leinwand zu überleben.

Kompromisse sind auch Weingartners Sache nicht. Bereits sein erstes Werk, „Das weiße Rauschen“ mit Daniel Brühl in der Hauptrolle, war ein ganz ungewöhnlicher Film über Schizophrenie. „Ich mache einen Film, wenn ich eine Idee habe, ein Thema, für das ich brenne und von dem ich glaube, dass es genug Energie freisetzt, um zwei Jahre meines Lebens dafür zu investieren.“ Und wie kommt er auf solche Ideen? „Ich bin in einen See gesprungen und die Idee war da. Nach 30 Sekunden hatte ich den Plot im Kopf.“

Das TV-Thema nagt schon seit Jahren an ihm: „Ich glaube, dass die Massenmedien nicht nur unsere Wertvorstellungen stark bestimmen, sondern auch das, was wir denken. Heute stellt sich die Sache andersherum dar als noch bei Marx. Das Bewusstsein formt das Sein.“ Fernsehgelder kann man für so ein Projekt nicht beantragen. Und auch die Filmförderungsanstalt, deren Gremien teils mit Fernsehleuten besetzt sind, wollte lieber nichts wissen vom Ansatz jenes Regisseurs, dem es nach langen elf Jahren erstmals wieder gelang, eine deutsche Produktion im Wettbewerb von Cannes unterzubringen. Grund: Der Titel gefiel nicht

„Free Rainer“ erzählt die Geschichte des Fernsehproduzenten Rainer, der längst alle Illusionen, die er mal hatte, aufgegeben hat. Als er aber einen Anschlag überlebt, begibt er sich auf eine Mission. Rainers Auftrag: Die TV-Zombies wieder zum Leben erwecken. „Free Rainer“ wird allerdings keine Komödie sein, mag es auch komisch zugehen. „Ich hasse diese bleischweren Filme aus den Siebzigern, wo die Leute traurig aus dem Fenster gucken, es regnet, jemand lehnt sich auf und wird am Ende dafür bestraft. Das will keiner sehen und es bringt uns auch nicht weiter.“ Für Weingartner gibt es nicht Schlimmeres als Langeweile im Kino. Es muss etwas passieren, es muss gekämpft und geliebt werden – und es muss Witz haben.

„Free Rainer“ wird sich nicht mit seinem Thema verbrüdern, wie es den meisten Mediensatiren passiert. „Ich lade mir nicht Gottschalk oder Schmidt als Nebendarsteller ein. Das ist mir zu blöd.“ Dieser Film wird nicht, wie Weingartner sagt, „in der Matrix“ sein, sondern eine Utopie formulieren. „Es ist kein Film für oder gegen etwas. Es ist ein Film über die Wiederentdeckung des Lebens. Da steckt natürlich wieder eine gewisse Naivität drin. Aber ohne Naivität gibt es keine Revolte.“

Dann werden einige hundert Komparsen in Abendgarderobe in den Saal geführt und an die runden Tische verteilt. Hier und da wird noch eine Hose gekürzt oder eine Krawatte gebunden. „Darf geraucht werden?“, fragt der Regieassistent von der einen Seite des Saales. Weingartner, am anderen Ende, lässt sich Zeit mit der Antwort. Er überlegt. „Also gut, zwei pro Tisch dürfen rauchen“, ruft er. „Müssen aber nicht.“

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