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Kultur: Ich und das Genie

Wagner-Leidenschaften, böse Blicke, Sitcoms: das Jüdische Filmfestival in Berlin und Potsdam

Stephen Fry fährt nach Bayreuth. Fry, der Komiker? Was macht Fry, das Kind jüdischer Emigranten, in Bayreuth? Den „Ring“ sehen, sagt er. Andererseits weiß er nicht genau, ob das richtig ist, darum hat er einen Regisseur mitgenommen und lässt sich einen Film lang Zeit, sich zu entscheiden. Es wird ein großer Film und eine lange Entscheidung, und wahrscheinlich wird „Wagner and Me“der Höhepunkt des diesjährigen Jüdischen Filmfestivals, gezeigt am Galaabend, dem 22. Mai, im Hans-Otto-Theater Potsdam. Es ist ebenso unwahrscheinlich wie schön: Da ist ein Jüdisches Filmfestival in Berlin und Potsdam, und es macht die Bekenntnisse eines leidenschaftlichen Wagnerianers zu seinem Mittelpunkt.

Denn je länger diese für die BBC gedrehte Dokumentation von Patrick McGrady währt, desto offenkundiger wird: „Wagner and Me“ ist eine große, letztlich vorbehaltlose Verteidigung des Komponisten gegen seine Verächter und gegen ihn selbst. Auch gegen Frys Misstrauen gegen sich: Kann er wirklich dieselbe Musik lieben wie der chaplinbärtige Nobody, der in den zwanziger Jahren zum ersten Mal nach Bayreuth kam und mit offenen Armen von der judenhasserischen Familie des Komponisten empfangen wurde? Selbst Wagners Freunde stöhnten, als er 1869 „Das Judentum in der Musik“ neu herausgeben ließ. Fry diskutiert das Schriftstück mit den Wagner-Kennern, ahnt, wie viel Kompensation des eigenen Misserfolgs vor der Welt dabei gewesen sein könnte, gemessen am Erfolg etwa eines Meyerbeer. Andererseits hatte Wagner nicht viel zu kompensieren (anders als die Kreatur Adolf Hitler), Wagner wusste genau, wer er war: ein Genie.

Auch laut Fry ist er das vielleicht größte Genie des 19. Jahrhunderts. Aber genau hier liegt das Unannehmbare. Sollte es wirklich antisemitische Genies geben (dürfen)? Schon Friedrich Nietzsche, Freundfeind, Feindfreund Wagners, schlug sich mit der Frage herum, nannte ihn den „vollsten Menschen“, den er je gekannt habe. Ohne den Blick auf Wagner versteht man die Botschaften von Nietzsches letzten Briefen nicht, als der Wahnsinn schon Mitautor war: „Ich lasse eben alle Antisemiten erschießen. Dionysos.“ Vielleicht sollte man noch sagen, dass Fry eine erstaunliche Ähnlichkeit mit Wagner besitzt und letzterer ohnehin den Verdacht hatte, dass sein Stiefvater, der Jude Geyer, mehr gewesen sein könnte als sein Stiefvater.

Was das Jüdische Filmfestival auch in diesem Jahr wieder so unverwechselbar macht, ist sein böser Blick. Der böse Blick, die vorgebliche Kälte als letztes Refugium des Humanen in einer immer auswegloser werdenden, offen absurden Welt – zumal von Jerusalem aus betrachtet. So gesehen sind viele Filme, so verschieden sie sein mögen, Variationen auf ein Thema. Besonders oft kommen in diesem Jahr Personalchefs und Journalisten vor.

Während in Eitan Tzurs Sitcom „The Office“ der übergewichtige Chef einer Papiergroßhandlung im Mittelpunkt steht, zeigt „The Human Resources Manager“ die langwierige Menschwerdung des Personalchefs einer Jerusalemer Großbäckerei. Eine junge russische Putzfrau, getötet bei einem Terroranschlag, liegt schon über eine Woche im Leichenschauhaus – niemand scheint sie gekannt zu haben –, als man einen Gehaltsnachweis der Bäckerei findet. Aber auch dort kennt sie offenbar keiner. Der neue Film von Eran Riklis („Lemon Tree“) fängt böse an, und das wird nicht besser, als der Personalchef die Leiche nach Russland überführen muss.

Irgendwann sitzt der Personalchef in einem alten russischen Atombunker, eine verlorene Welt, in der es wenigstens nicht schneit. Tröstlich, dass auch Strahlungswärme Wärme ist, manchmal geht sogar das Licht an. Besonders schön ist Riklis’ Porträt des mitreisenden Journalisten, Angehöriger einer Berufsgruppe, die nicht selten die Nebel erst erzeugt, die sie dann aufklären will. Zu besichtigen auch in der neuen Folge des, man kann schon sagen, Festivalklassikers „Arab Labor“.

Und schließlich, ohne jede Erleichterung im Lachen, Chaim Yakarims Dokumentation „Precious Life“ über die Rettung eines todkranken arabischen Kindes in einem Tel Aviver Krankenhaus durch einen israelischen Vater, der gerade seinen Sohn im Krieg verloren hat.

ab 18. Mai im Filmmuseum Potsdam, im Hans-Otto-Theater Potsdam und im Berliner Kino Arsenal.

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