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Kultur: Ich verleihe auch gerne meinen Pullover

Sechs Berliner Autoren über die Schriftsteller, die sie in Berlin betreuen

In Andrew Sean Greer sind sie ja alle verliebt. Die Feuilletonisten der großen und kleinen Zeitungen, die 20 Länder, in denen sein Held „Max Tivoli“ schon umgekehrt vergreiste, die Alten (diese Sprache! diese Poesie! diese Ironie!) und die Jungen (ist der jung! Und schon so weise!). Letztes Jahr hieß mein Patenkind Alan Sillitoe, kam aus England, war 76 Jahre alt und erzählte mir von seiner Familie und seiner Vorliebe, mit echten Füllfederhaltern zu schreiben. Was wird der 35-Jährige aus San Francisco erzählen? Schreibt er auch mit Füllfederhalter? Hat er Familie? Hat er Schreibblockaden? Hat er Vorbilder? Hat er Angst vor Kritik? Oder vor dem Altern? Vielleicht versuche ich einfach, ihn besoffen zu machen, und pinne respektvoll mit, was er sagt. In Schönschrift. Und habe am nächsten Tag die Gebrauchsanleitung für einen Bestseller voller Poesie, Ironie und Weisheit.

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Katarina Frostensons Gedichte lernte ich 1995 kennen. Ich hörte die Autorin bei einer Lesung in München – hörte die Musik ihrer schwedischen Sprache, war davon berührt. Ihre Gedichte erzählen von Körpern und deren Geschichten, vom Suchen und Finden. Landschaften sind ihr Raum, entstehen andererseits dank ihrer neu. Die Verse folgen dem Atem, öffnen sich weit, um dann überraschend zu Bild- und Denkknoten zusammenzuschnurren. Die Bewegung ist schön. Dank des Muts zu Lücken kommt sie voran. Träume, Erinnerungen, Stimmfragmente zeigen ihr sprachliches Gesicht, bis der Funke einer fantastisch realen Empfindung überspringt. Ich freue mich auf das Zuhören, die Wortmusik und Gespräche mit der klugen, erfindungsreichen Autorin. Ulrike Draesner

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Wozu Lyrik taugt? Zum Wunden heilen. Der eigenen wie der der anderen. Indem Verse die Wunden in die Erinnerung aller bringen. Südafrika, Wahrheitskommission, ein höllisches Decamerone, erzählt von den Opfern und den Tätern. Schwer, da ein tröstendes Wort zu finden. Ingrid de Kok , geboren 1951 in Johannisburg, Poetin. Von sich würde sie sagen, sie tut nur, was sie tun muss. Eine von vielen, die in Südafrika für die Versöhnung eintreten - obwohl sie zeitweise vor der Apartheid ins Ausland fliehen mussten oder im Gefängnis saßen. Was tut ein Poet? Das richtige Wort zur richtigen Zeit finden. Zum Beispiel ein Gedicht über Tontechniker. Weil die von allen Fachkräften bei der Radio-Berichterstattung über die Wahrheitskommission am häufigsten ausgewechselt werden mussten. „Das dienstbare Ohr verzeichnet die klaffenden Gräben im Land, während Blut dröhnend in der Schläfe pocht. Der Tontechniker hört sein eigenes Trommelfell platzen.“ Gregor Eisenhauer

Ich bin Guardian Angel von Arturo Fontaine T. – T. wie Talavera. Das Wort Guardian Angel finde ich persönlich viel schöner als das schnöde deutsche Patin. Ich hatte mir einen lateinamerikanischen Autor gewünscht, Fontaines Namen aber noch nie gehört. Seine Romane sind bisher nicht ins Deutsche übersetzt, obwohl der letzte, „Cuando éramos inmortales“ (Als wir unsterblich waren), sich 46 Wochen in den lateinamerikanischen Bestsellerlisten hielt. In seiner Heimat Chile ist Arturo Fontaine eine herausragende Persönlichkeit: Autor, Literaturwissenschaftler, Ökonom und Professor für Philosophie. Er schreibt regelmäßig über politische und kulturelle Themen und setzt sich für eine freie, pluralistische und demokratische Gesellschaft ein. Im Winter war ich im Nachbarland Argentinien, um für den WDR über Straßenkinder zu schreiben. Was habe ich gestaunt über die Menschen! Sie haben gelitten unter einem mörderischen Regime, aber sie werden nicht müde, Gerechtigkeit zu fordern. Es geht ihnen um Würde. Und um Kultur. Sie sind stolz auf ihre Schriftsteller. Manuela Mechtel

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Plötzlich erwarte ich einen Besucher, der von einem blinden Fleck auf der Landkarte kommt. Der Fleck heißt Mosambik, dennoch weiß ich nicht viel mehr, als dass er in Afrika liegt. Mia Couto gibt mir Hoffnung, den blinden Fleck wenigstens mit einer Person besetzen zu können. Er hat sie eigentlich schon erfüllt, bevor wir uns überhaupt begegnet sind. In Mosambik grüßen mich gerade die Bewohner eines Altenheims, die mit Magie gegen das Vergessen in ihrem Land ankämpfen, das Personal aus Coutos Buch „Unter dem Frangipanibaum“. Mia Couto schreibt gegen die Ignoranz: die im eigenen Land, das sich seiner Vergangenheit entledigen möchte, in Europa, das Afrika nur mit Elend gleichsetzt, im Weißen Haus, das sein Land schon einmal auf die Liste der üblichen Verdächtigen setzen ließ. Er bescheidet sich nicht mit der sichtbaren Welt, in seinen Geschichten wird Unmögliches selbstverständlich. Jutta Blume

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Namita Gokhale wird frieren, wenn sie in Berlin aus dem Flugzeug steigt. In Neu-Delhi, wo sie lebt, ist es um diese Jahreszeit vierzig Grad heiß. Namita Gokhale arbeitet als Herausgeberin und Literaturkritikerin. Sie hat zwei essayistische Studien und fünf Romane publiziert, die sich vor allem mit dem Leben der Frau in der indischen Gesellschaft beschäftigen. Ich freue mich, in ihr eine namhafte Vertreterin einer der ältesten Schriftkulturen kennen zu lernen. Gokhale schreibt auf Hindi und Englisch, zwei von 16 Hauptsprachen des Landes – neben Hunderten von Dialekten. Namita Gokhales letzter Roman „Shakuntala – Das Spiel des Gedächtnisses“ ist inspiriert von dem über tausend Jahre alten, in Sanskrit verfassten Schauspiel „Shakuntala“ des Poeten Kalidasa. Was werde ich ihr zeigen? Die Schätze der Museen in Dahlem und Mitte? Das Jüdische Museum? Werde ich mit ihr ins Deutsche Theater gehen? In die Oper? Oder werden wir in der Kneipe um die Ecke Berliner Eisbein essen, Bier trinken und Leute beobachten? Natürlich leihe ich Namita Gokhale auch gerne einen Pullover. Urban Blau

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Für die amerikanische Dichterin Rae Armantrout Guardian Angel sein zu dürfen, habe ich mir nicht ausgesucht – ich kannte sie bisher nicht. Ein Beweis für meine Unbildung und die Intelligenz des Zufalls – denn ich habe bei ihr gefunden, dass man den Phrasen des sprachlichen Systems mit vorsichtigem Misstrauen begegnen sollte. Versuche ich das nicht auch hie und da? Ich werde sie fragen, wie man in San Diego Kreatives Schreiben lehrt, und ich werde ihr jenen Vers zeigen, den die elektronische Übersetzungsmaschine aus einem ihrer Gedichte herauspräparierte: „und ein Vogel schlägt vorüber“. Matthias Biskupek

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