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Kultur: ICOM Tagung: Der andere Ort - Der Internationale Museumsrat in Lindau

Alle drei Jahre versammeln sich die deutschsprachigen Sektionen des Internationalen Museumsrates ICOM in Lindau am Bodensee. Im runden Jahr 2000 fiel das Tagungsthema besonders weit aus: "Das Museum als Global Village".

Alle drei Jahre versammeln sich die deutschsprachigen Sektionen des Internationalen Museumsrates ICOM in Lindau am Bodensee. Im runden Jahr 2000 fiel das Tagungsthema besonders weit aus: "Das Museum als Global Village". An die 140 Museumsleute diskutierten über drei Tage hinweg - und hatten Gelegenheit, neben dem global village des international ausgerichteten und in nur drei Jahren zu bestem Ruf gelangten Kunsthauses Bregenz mit der Klosterbibliothek von St. Gallen auch ein solches des Mittelalters zu besichtigen.

Wie es um die heutige Realität der Globalisierung bestellt ist, stellte der holländische ICOM-Generalsekretär Manus Brinkman bereits im Grußwort eindringlich vor Augen. Der eine Museumsleiter arbeite "im e-commerce, der andere nimmt sein Fahrrad, um eine Schule im Dschungel zu besuchen. Der mit dem Fahrrad hat nicht das Geld, um jemals eine ICOM-Tagung zu besuchen, der andere wahrscheinlich nicht die Zeit."

Es war ein zweiter Holländer, der die Tagungsteilnehmer beinahe verzagt machte angesichts der technischen Entwicklung, die auch auf die Museen zukommt. Kim Veltman vom McLuhan-Institut (sic!) der Universität Maastricht brannte ein Feuerwerk an Computergrafiken und -animationen ab - um immer wieder den content in den Mittelpunkt zu rücken, den Inhalt, das also, was Museen über das weltweite Netz denn mitteilen könnten und sollten. Die erst in Bruchteilen ausgeschöpfte Fähigkeit des Internets, Verknüpfungen herzustellen, dürfte die größte Herausforderung für Museen und andere Wissensspeicher herkömmlicher Art darstellen. "Im Museum befinden sich die Dinge außerhalb ihres Kontextes - der Kontext ist hier draußen!", so Veltman, während er seine Bilderkaskaden per Mausklick über die Projektionsleinwand jagte.

Zuvor hatte schon der Karlsruher Kunsthistoriker Hans Belting moralischen Rückhalt besorgt. Sein Vortrag über "Das Museum als Medium" bot ein nachdrückliches Plädoyer für das Museum - freilich als einen Ort des Widerstandes, einen "Ort der Alterität statt der Aktualität". Museen, erinnerte Belting, seien erst in der Moderne ins Leben gerufen worden, und zwar als Kompensation dieser Moderne. In einer durch die globale Vernetzung immer ortloser werdenden Welt biete das Museum die Erfahrung des Ortes, der Zeit und der (physischen) Gegenstände. Das Museum zeige "Dinge, die sich selbst bedeuten und einem Blick Bedeutung verleihen, der nicht nur den Augenblick meint, sondern Geschichte einfängt." Hans Beltings Forderung indessen, Museen als Orte einer zweckfreien Öffentlichkeit zu verstehen und zu nutzen, fand im Expertenkreis nur verhaltene Reaktionen.

Dabei hatte die Tagungsleitung - der mit dem deutschen ICOM-Vorsitzenden Hans-Martin Hinz der neue Berliner Kulturstaatssekretär angehörte - zwei höchst spannende Beispiele solch "anderer" Museen aufzubieten. Christian Kaufmann vom Basler Museum der Kulturen berichtete über das spektakuläre, vom italienischen Weltbürger Renzo Piano im Rückgriff auf lokale Bautraditionen entworfene Kulturzentrum von Nouméa (Neukaledonien). Joseph Noero aus Südafrika stellte seinen Entwurf für das künftige Apartheid-Museum vor, das inmitten eines townships errichtet werden und Marktplatz, Busstation und Sozialwohnungen umfassen soll - dort, "wo die Menschen leben", wie Noero gegenüber der zumal in den USA üblichen Trennung des Museums von der Alltagswelt unterstrich. Das Museum als Ort von Kommunikation und Erinnerung - so, wie Belting es gefordert hatte. Ganz ähnlich betonte Rosmarie Beier-de Haan vom Deutschen Historischen Museum Berlin die Rolle der (Geschichts-)Museen als "Austauschpunkte nomadisierender Kulturen" und als "komplexes Miteinander globaler und lokaler Erscheinungen".

Das wissensdurstige Mittelalter

Hat sich da gegenüber früher wirklich so viel verändert? Die berühmte Bibliothek im schweizerischen St. Gallen, heute ein Museum ihrer selbst, bewahrt unter ihren zahllosen Handschriften solche des 7. bis 10. Jahrhunderts in einer Fülle und Qualität, dass die gängige Metapher vom "dunklen" Mittelalter ein für alle Mal widerlegt sein sollte. Welche Informationsströme damals von Syrien bis Irland, von Sevilla eben bis St. Gallen reichten, kann angesichts der damaligen, physischen und georgrafischen Hindernisse des Wissenstransfers nur Staunen wecken.

Die Kenntnis vergangener Leistungen in ihren materiellen Zeugnissen zu bewahren, ist die vornehmste Aufgabe des Museums - und macht es angesichts der Neuerungs- und Verfallsgeschwindigkeit der technischen Medien tatsächlich zu dem von Belting beschworenen Heterotop, dem "anderen" oder "Gegenort". So gesehen, fällt die Bilanz des "Museums an der Zeitenwende" zumindest verhalten optimistisch aus.

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