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Melancholisch, komisch. Der Schriftsteller Arnold Stadler, 67.

©  Brigitte Friedrich

Arnold Stadler in Tansania: Im Innern unwegsam

In seinem Buch „Am siebten Tag flog ich zurück“ reist Arnold Stadler nach Tansania und erzählt Geschichten über das Land und seine Bewohner.

Jahrelang blickte der kleine Arnold Stadler auf diesen Berg. In der vorderen Stube überm Esstisch hing er, gemalt von Fritz Lang – nicht dem Regisseur, sondern einem schwäbischen Künstler, dem es vor allem Landschaften und Tiere angetan hatten. Dieser Berg ist ein Ort jenseits der Vorstellungskraft, der Auslöser ersten Fernwehs. „Der Kibo von Madschame aus“ heißt das Gemälde, das bei den Stadlers in der badischen Provinz die Wand schmückte und eine ungreifbare Idee von Weite weckte, einen schier unvorstellbaren Wunsch hin zu diesem eigentlich unerreichbaren Gebirge.

Erst viele Jahrzehnte später wird Arnold Stadler dem Kibo im Kilimandscharo-Massiv näherkommen. Für die Beilage einer großen Wochenzeitung soll er einen Sehnsuchtsort bereisen. Die Wahl fällt auf diesen Kibo, wie ihn Fritz Lang gemalt hat und wie er in der Fantasie des Autors im Laufe der Zeit immer imposanter und schöner geworden ist. Sechs Tage lang wird seine redaktionell ermöglichte Fahrt dauern. Am siebten Tag geht ein Flug zurück nach Bremen, wo ein „Smokingabend“ im Parkhotel im Terminkalender steht. In einer Woche vom unmöglichen Kindheitstraum zum mondänen Herrenclub-Event – in dieser biblischen Zeitspanne wird bei Stadler ein ganzes Leben durchmessen.

Die Reportage, die er von seiner Afrikatour mitbringt und die tatsächlich 2017 in der Wochenzeitung erscheint, genügt jedoch nicht. Sie weitet sich zum Buch. Und wie es sich für Arnold Stadler gehört, streckt sich dieses Buch in alle möglichen Richtungen, in verworrene Vergangenheiten und die Abgründe der globalisierten Gegenwart, nach Nord- und Südamerika, vornehmlich aber nach innen, zu jenem ominösen, alterslosen Ich – „Ich, einer, der immer noch ,ich’ sagte“ –, das weiter in der Stube in Messkirch sitzt und zugleich auf allen Kontinenten unterwegs war, das sich gleich bleibt und nie ganz mit sich eins wird.

„Am siebten Tag flog ich zurück“ heißt Arnold Stadlers jüngstes Werk. Aber was für ein Buch ist das eigentlich? Reiseliteratur? Auf gewisse Weise ja. Denn natürlich erfahren wir etwas über die Gegend, in die es den Erzähler verschlägt, über den Kibo, der in unrühmlichen Kolonialzeiten einmal Kaiser-Wilhelm-Spitze hieß. Über Tansania und die Zukunft, die auch diesem Weltnaturerbe noch bevorstehen wird. Über die Menschen am Fuß des Kilimandscharo, die – wie der kleine Arnold einst – heute vom Paradies träumen, dabei aber an Europa denken und vielleicht irgendwann „bei uns“ in einem Auffanglager landen. Sogar eine Safari macht unser Afrikafahrer mit.

Ein Roman ist dieses Buch allerdings ebenso, wenn auch kein handelsüblicher. Es fehlt an Handlung, an einer Geschichte, obgleich unzählige Geschichten erzählt werden: von Hemingways Bruder Leicester etwa, der auf einem 30 Quadratmeter großen Floß in karibischen Gewässern einen eigenen Staat namens New Atlantis gründete und ein ähnlich trauriges Ende nahm wie Ernest, der bekanntlich die berühmte Erzählung „Schnee auf dem Kilimandscharo“ geschrieben hatte. Oder von Fritz Kiehn, Zigarrenfabrikant und NSDAP-Abgeordneter, der nach dem Krieg in Tansania die Jagdfarm Momella betrieb – wo übrigens der Film „Hatari“ mit John Wayne und Hardy Krüger gedreht wurde.

Bitterböser Reisebericht

Es gibt Begegnungen mit anderen Reisenden, die voller hübscher Missverständnisse sind. Denn die Menschen, das glaubt Arnold Stadler gut zu wissen, wollen sich nah sein, leben aber zuweilen auf unterschiedlichen Planeten.

„Am siebten Tag flog ich zurück“ ist also ein poetischer, etliche bekannte Stadler-Motive variierender, zuweilen bitterböser Reisebericht, der ins Unwegsame führt: Dorthin, wo ein belesener, kluger, allüberall Merkwürdigkeiten wahrnehmender Mensch mit seiner eigenen inneren Weltkarte fährt und mit den Dingen des Lebens konfrontiert wird. Natürlich kann dabei nur ein Zwitterbuch herauskommen, voller Irrwege, Gedankensprünge, ironischer Selbst- und entlarvender Weltbetrachtungen.

„Ich war unschlagbar im Kombinieren möglicher Sätze und Einwände in fremden Köpfen gegen mich. Im Kombinieren falscher Zusammenhänge. Das verband mich wieder einmal mit Don Quichotte. Und nun stellte sich meine Fahrt als ein Nachstellen eines Kapitels des spanischen Weltraumfahrers nach innen heraus.“

[Arnold Stadler: Am siebten Tag flog ich zurück. Meine Reise zum Kilimandscharo. S. Fischer Verlag. Frankfurt/Main 2021. 239 Seiten. 23 €.]

Es geht Stadler dabei nie um ein Erlebnis, sondern um Erfahrung. Es geht ihm nicht darum, ein Abenteuer zu bestehen und in voller Trekking-Montur auf einen Berg zu steigen. Schon gar nicht darum, sich zu finden. Was für eine Anmaßung das auch wäre. Vielmehr geht es um eine Sehnsuchtsvergewisserung. Dass jemand als älterer Mann mit sich selbst als staunendem Kind durch die Welt fährt – das ist das Kostbare dieses Buches. Der Erzähler bleibt so immer ein bisschen empfindlich, hypochondrisch, angreifbar, offen sowohl für Enttäuschung wie für Überraschendes.

Die Erzählhaltung Stadlers: zwischen melancholischer Weltsicht, ironischer Distanz und slapstickhafter Komik. Deshalb kann Stadler auch davon sprechen, „Vogelscheuchensätze“ zu schreiben. Vogelscheuchensätze sind zum Glück das genaue Gegenteil von cooler Checkerprosa, die von einer Zeitungsredaktion erwartet wird. Nur folgerichtig also, dass die Reise zum Kilimandscharo nicht in einer Reportage aufgehen konnte, sondern schließlich etwas anderes werden musste: ein Buch über eine Fahrt hin zu etwas Unsichtbarem, zu einem Bild, zu einem erträumten Afrika, das von der Wirklichkeit niemals ganz eingeholt werden kann und trotzdem so real ist, dass seine Schattenseiten nicht übersehen werden können. Ulrich Rüdenauer

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