zum Hauptinhalt

Kultur: Im Mittelpunkt der Euphorie

Eine kleine Landpartie: Ein Besuch bei der Band Madsen im Wendland. Ihr neues Album verkündet: „Goodbye Logik“

Es sind noch sechzehn Kilometer bis Clenze im Wendland, da dirigiert uns das Navigationssystem auf einen Feldweg. Links ein Kartoffelacker, rechts ein Weizenfeld, dazwischen eine schmale asphaltierte Schneise, die auf ein Rundlingsdorf zuführt. Für einen Trip zur Heimat von Madsen, der interessantesten deutschen Newcomer-Band, braucht es ein abenteuerliches Herz. Tief fährt man in einen Landstrich, in dem das Korn hoch steht und der Mais verdorrt. Aus den Autoboxen windet sich eine verzerrte E-Gitarre, die Becken zischen giftig, eine Stimme schreit: „Vergiss mich nicht, wenn du da bist/ Wenn du da bist, wo du hinwillst/ … Denn ich komme nicht mit!“

Er habe versucht fortzugehen, wird Sebastian Madsen, der diese Zeilen auf der neuen Platte seiner Band brüllt, später sagen. Aber es sei vergeblich gewesen. Er hatte sich an der Berliner Humboldt-Universität eingeschrieben. Zweimal war er dort. Es sei „frustrierend“ gewesen. Schließlich wurde er zwangsexmatrikuliert. Jetzt sitzt der 24-jährige Musiker mit seinen Bandkollegen im Garten des Familiengrundstücks unter einem schattigen Kirschbaum und sagt: „Es gibt keinen besseren Genesungsort als diesen hier.“

Er sieht blass aus. Zuletzte musste das Quintett, das sich Madsen nennt, weil neben Sebastian auch seine Brüder Johannes, 27, an der Gitarre und Sascha, 22, am Schlagzeug mitspielen, mehrere Konzerte wegen Krankheit absagen. Mutter Madsen hat einen Blaubeerkuchen gebacken, aber Sebastian rührt ihn kaum an.

Vom Nachbargrundstück, wo ein Kunstschweißer mit der Flex hantiert, hört der Sänger plötzlich seine eigene Stimme: „Weil die Welt sich so schnell dreht, weil die Zeit so schnell vergeht, kommst duuuuu nicht hinterheeeeäär“, donnert es aus dem Radio, in dem die Single „Du schreibst Geschichte“ läuft. Wild prügelt Sascha Madsen auf seine Drums ein, die Gitarren sägen und zerren. Es ist das Auftaktstück ihres neuen Albums „Goodbye Logik“, das am Freitag bei Universal erscheint. Der Song ist wie die meisten Madsen-Stücke ein brachialer, zorniger Mutmacher. In diesem Fall wollte sich der Sänger allerdings vor allem selbst wieder aufrichten, als er in der großen Stadt festsaß und nirgendwo Anschluss fand. Egal, wie nichtig du dich fühlst, sagt sein Lied, auf dich kommt es an.

Als er diesen Gedanken fasste, konnte er nicht wissen, dass seine Band kurz darauf als „die Rockmusik-Entdeckung“ des Pop-Jahres 2005 gefeiert werden würde („Spiegel“). „Die beste Debüt-LP, seitdem ich über Musik schreibe“, jubelte Thees Uhlmann von der Hamburger Band Tomte, und die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ zeigte sich „verblüfft“ von einem „perfekten Debüt“. Von dem Album verkauften sie 35 000 Exemplare und spielten 120 Konzerte im Jahr. Sebastian schrie sich die Seele aus dem Leib, bis er krank wurde. So drängend und aufrichtig hat Rockmusik hierzulande lange nicht mehr geklungen.

Die größte Attraktion des niedersächsischen Landkreises Lüchow-Dannenberg ist bislang das Atommüll-Zwischenlager Gorleben. 42 Einwohner teilen sich hier einen Quadratkilometer, es ist eine der am dünnsten besiedelten Regionen in Deutschland. Für die Wendländer ist das der einzige Grund, warum man ausgerechnet ihnen die Altlasten der AKW-Ära aufbürdet. Denn sehr viel mehr als Kühe, Fachwerkhäuser und einen Salzstock gibt es hier nicht. Die meisten Bauernhöfe wurden aufgegeben, nachgerückt sind Öko-Aussteiger und Stadtflüchtlinge, die das abgelegene, verwunschene Terrain als Rückzugsidylle entdeckt haben.

„Kommerz-Ökos“ schimpft Pianist Folkert Jahnke all die Kunsthandwerker in der Gegend, die in Keramik, Wolle oder Bio-Honig machen. Er, den alle nur Folli rufen, ist mit 38 der Älteste in der Runde, und mit seiner Ausbildung zum Kunststoffformgeber und später zum Erzieher verfügt er als einziger über einschlägige Berufserfahrung. Er stammt von einem kleinen Hof, der sich auf Pferdezucht spezialisiert hat, aber da passt er nicht so richtig rein, sagt er. Wie die anderen geht er demonstrieren, sobald ein Atommüll-Transport ansteht. „Wenn es den Castor nicht geben würde“, sagt er, „hätten viele hier gar nichts.“

Die Madsens zogen der Söhne wegen aufs Land. Dort wuchsen diese mit Pflegekindern auf, die man ihren Eltern schwer traumatisiert in Obhut gab – „familieninterne Wohngruppe“ heißt das im Sozialjargon. Stücke wie „Panik“, „Diese Kinder“ oder „Mein Therapeut und ich“ vermitteln eine Ahnung von der Hysterie, dem Argwohn und Vernachlässigungsschmerz, deren Kräfte an seelischen Fundamenten rütteln („Ich schreie doch so laut ich kann/ Doch nichts kommt bei dir an/ Denn für dich bin ich unsichtbar“). Dabei ist Sebastian Madsen kein zorniger Mensch. Und seine Eltern seien „immer viel zu locker gewesen, um auf Widerstand zu stoßen“. Dass er seine Haare lang wachsen ließ, nahmen sie ebenso hin wie den Punk-Lärm, in den er die zum Wohnhaus umgebaute Scheune tauchte. Als er eines Tages „Smells Like Teen Spirit“ von Nirvana im Küchenradio hörte, bat die Mutter allerdings: „Mach mal leiser, ist ja furchtbar.“

Ein Jahr darauf stand Sebastian zum ersten Mal auf der Bühne. Er war zwölf, agitierte gegen „Bullenschweine“ und sang Zeilen wie: „Asozial, was ich bin, ist dir egal.“ Vater Madsen fuhr die Band namens Ganz Klar zu Konzerten, einmal sogar in einen Punk-Club nach Berlin. Johannes, der ältere, schrubbte die Gitarre, während Sebastian noch fest davon überzeugt war, Schlagzeuger zu werden. Das wollte der zwei Jahre jüngere Sascha aber auch, und er zahlte einen hohen Preis. Denn bald spannte ihn der Songwriter-Bruder in seinen Schaffenswahn ein. Er nötigte ihn, auf Trommeln und Becken einzudreschen, bis heute ist das so geblieben. Sebastian kann jahrelang eine Songidee mit sich herumtragen, aber dann will er sie sofort im Hausstudio aufnehmen. Brüder sind verfügbar. Daraus entstanden Bands mit Namen wie Hoerstuaz und Alice’s Gun. Sogar einen Plattenvertrag hatten sie schon ergattert. Aber dann blieben die eingespielten Bänder unveröffentlicht. „Das war richtig“, sagt Sebastian Madsen heute, „wir waren noch nicht so weit.“ Der Durchbruch kam, als Sebastian, das stille Kraftzentrum, deutsche Texte zu schreiben begann und das Gespann musikalisch die Quersumme aus Nirvana, den Foo Fighters und Strokes zog.

Viele Gitarrenbands zehren vom Mythos, eine Freundesclique zu sein. Meistens stimmt das nicht. Madsen aber sind genau die fünf Burschen, die sich ohnehin ständig treffen – aus Mangel an Alternativen. Sogar einen 50-minütigen Spielfilm haben sie vor lauter Langeweile gedreht. Titel: „Die Brosche – Mord in Kussebode“. Uraufgeführt im Kinosaal von Clenze. Nach einer anstrengenden Tournee vergehen kaum zwei Tage, bis sie sich zum Grillen oder Kinogehen verabreden und schließlich im Probenraum landen. „Es ist erschreckend, wie schnell man sich verzeiht“, sagt Sebastian.

So wurde auch das zweite Album früh in Angriff genommen. Es ist melodiöser als der Vorgänger, von dem Sebastian sagt, er habe ihn für Realschüler auf Klassenfahrt geschrieben. Er schreit jetzt nicht mehr ganz so verzweifelt, sagt er. Und wieder glühen die Songs vor verschütteter Energien. Da fantasiert der Sänger von einem Sturm, der ihn herausreißt aus den Träumen und Versagensängsten. Das Titelstück ist ein Lob der Unvernunft: „Goodbye Logik“ folgt der Spur von Tocotronics „Pure Vernunft darf niemals siegen“. Aber es besticht vor allem durch musikalische Klarheit. „Blitze schlagen auf uns ein/ Hier scheint kein Boden unter uns zu sein/ Wir sind im Mittelpunkt der Euphorie“, singen Madsen in einem Stück, das ihnen selbst gilt und zu den schönsten der Platte zählt. Kaum eine deutsche Band kann derzeit Alltagsgedanken so in der Schwebe halten.

Die Sonne sinkt, die Schatten werden länger, wieder hat niemand die Kirschen vom Baum geholt. Und am Ende kommt Sabastian Madsen doch mit. Nach Berlin, einen Besuch machen. Mit irgendwem muss er den „einzigen Moment, der mir ein Lächeln schenkt“ ja erlebt haben. Er wisse nie, worauf das hinauslaufe, wenn er zu schreiben beginne, sagt er. Nur so viel weiß er: „Danach fühle ich mich jedesmal vollkommen ausgelaugt.“

„Goodbye Logik“ erscheint bei Universal. Am 11. August spielen Madsen auf der Insel der Jugend in Berlin-Treptow.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false