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Fingerspiel. Die Tänzerin Hedy Pfundmayr um 1930 als Elektra.

© Galerie Kicken Berlin

Ausstellung "Tanz der Hände": Im Rausch der Gesten

Eine Ausstellung im Verborgenen Museum lenkt den Blick auf feine Glieder und starre Finger.

Hände sind zum Greifen da, zum Zupacken, für viele heute vor allem zum Tippen. Ein normaler Alltag ist ohne sie unmöglich, das macht sie so ungemein wichtig – und den Menschen im Grunde überhaupt erst aus. Ein großes Hirn alleine nützt eben nichts.

Was Hände aber nicht primär sind: Künstlerisch wertvoll, mystisch, bezaubernd. Im Wien und Berlin der 1920er Jahre war das Tanzpublikum jedoch ganz verrückt nach feinen Fingergliedern und zuckenden Gelenken. Die Ausstellung „Tanz der Hände“ im Verborgenen Museum will dieser Faszination nachspüren und zeigen, woher sie kam.

Es ist die Zeit des kreativen Aufbegehrens, der Tabubrüche, der Sinnsuche angesichts der Folgen des Ersten Weltkriegs und der instabilen politischen Lage. Die Psychoanalyse bekommt Aufwind und mit ihr das Interesse an dem, was sonst im Dunkeln bleibt. Die Hand entwickelt sich zum Symbol der Seele, das Lesen von Lebenslinien kommt in Mode.

Flatternd, kreisend, faszinierend

In Berlin fertigt die Chiromantikerin Marianne Raschig tausende Handabdrücke an. Auch die Wiener Ballerina Hedy Pfundmayr (1899–1965) kommt zu ihr, der Abdruck wird im Verborgenen Museum gezeigt. Gemeinsam mit Tilly Losch (1903–1975), ebenfalls Solotänzerin an der Staatsoper, und dem jungen Grotesktänzer Harald Kreutzberg tritt Pfundmayr bei den Salzburger Festspielen 1927 mit dem „Tanz der Hände“ auf. Und tatsächlich sind die Hände der Künstler die eigentlichen Stars der Aufführung. Hell ausgeleuchtet erscheinen sie, als führten sie ein Eigenleben, während die Körper der Tänzer im Dunkeln verschwinden.

Wie das ausgesehen haben könnte, zeigt ein kurzer Stummfilm von Norman Bel Geddes aus dem Jahr 1928. Darin lässt Tilly Losch ihre erstaunlich beweglichen Hände flattern, kreisen, windet sie umeinander, ständig verkrampfen und lösen sie sich wieder – es ist ein faszinierendes Spiel, man kann nicht aufhören hinzusehen.

Daneben sind in der Ausstellung vor allem Fotografien zu sehen. Die kunstvoll arrangierten Finger verharren im Moment, was einen anderen, nicht unerheblichen Reiz hat. Die Bilder sind wegen der schwierigen Lichtverhältnisse auf den Bühnen allesamt im Studio entstanden, hinter der Linse standen Fotografinnen und Fotografen wie Trude Fleischmann, Lotte Jacobi und Rudolf Koppitz. Zu Beginn des Rundgangs durch die zwei Räume verweisen Aufnahmen der berüchtigten Berliner Nackttänzerin Olga Desmond von 1906 auf die Wurzeln des Ausdruckstanzes – auch sie bezog ihre Hände bereits bewusster ein. Mehr als zwanzig Jahre später spitzen Pfundmayr, Losch, Kreutzberg und andere das Stilmittel zu und stellen Handteller und Finger mitunter ganz in den Fokus.

Finger wie Haarstoppel

Als Otto Werberg 1930 in Paul Hindemiths Ballett „Der Dämon“ die Hauptrolle tanzt, trägt er eine bizarre fratzenhafte Maske und anstelle von Haaren steife Finger, die wie Stoppel aus der Kopfhaut ragen. Grete Kolliner lichtete den maskierten Tänzer dann auch noch mit verlängerten spindeldürren Fingern ab – ein verstörendes Bild.

Noch ein Hingucker: Die von Rudolf Koppitz fotografierte Reihe, in der Hedy Pfundmayr ebenfalls maskiert die Elektra gibt. Sie spreizt ihre Finger ab, als würden sie nicht zu ihr gehören. Die Gesten erzählen von Furcht, Machtgebaren, Wut, sie werden als verzerrte Schattenbilder an die Wand geworfen. Es wäre schade, hätte sie mit diesen Fingern nur getippt.

Verborgenes Museum, Schlüterstr. 70, bis 31.1.2016, Do/Fr 15-19 Uhr, Sa/So 12-16 Uhr

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