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Kultur: Im Schlamm der Geschichte

In Frankfurt analysiert eine Ausstellung zum Epochenjahr 1938 die Wurzeln der NS-Kulturpolitik.

Zuerst der Fußboden: Ein Ensemble aus Teppichen in verschiedenen Farben. Wenn man ihn betritt, weiß man nie genau, woran man ist. Mal bleibt der Boden fest, dann, beim nächsten Schritt, hat man das Gefühl, einzusinken, sich auf schwammigem Grund zu befinden. Genau so ist es gedacht. Der ungewöhnliche Untergrund ist der Beitrag des Künstlers Tobias Rehberger zu einer Ausstellung im Jüdischen Museum in Frankfurt am Main, die unter dem schlichten Titel „1938“ den ambitionierten Versuch unternimmt, „Kunst. Künstler. Politik“ – so der Untertitel – in ein neues, bis heute zu wenig beachtetes Verhältnis zu setzen. Die Teppichinstallation ist vor diesem Hintergrund doppeldeutig: Zum einen zerstört sie festgefügte Gewissheiten. Zum anderen, auch das passt, erzeugt sie den Eindruck, man stünde im Schlamm.

Das Jahr 1938 war ein Epochenjahr – ein für Juden in Deutschland katastrophales. Ab 26. Februar war in Berlin die seit 1937 in München gezeigte Wanderausstellung „Entartete Kunst“ zu sehen, rund zwei Wochen später wurde Österreich ans Deutsche Reich angeschlossen, im November entlud sich die Gewalt in den Pogromen gegen jüdische Geschäfte. Die Ausstellung „1938“ arbeitet einerseits mit der Konfrontation von Gegensätzen und verweist andererseits auf historische Kontinuitäten – so den Umstand, dass die Bundesregierung erst 1998 die Washingtoner Grundsätze unterzeichnet hat, die zur Recherche nach geraubten Kunstwerken und zur Ausarbeitung von fairen Rückgabelösungen verpflichten. Vor allem aber entwirft die von der Kunsthistorikerin und FAZ-Redakteurin Julia Voss kuratierte Schau ein differenziertes Bild von Akteuren, Profiteuren und Opfern der nationalsozialistischen Kunstpolitik. Nichts könnte angesichts der Diskussion um den Umgang mit dem gewaltigen Münchner Kunstfund aktueller sein.

Der Gedanke, dass es eine scharfe Trennlinie gab, dass das Verdikt der „entarteten Kunst“ sich in erster Linie gegen eine forcierte Avantgarde gerichtet hätte, wird hier anhand von sorgfältig gewählten Einzelbeispielen widerlegt. Es ging nicht in erster Linie um Ästhetik, es ging um Rasse. Und es ging, versteht sich, um Macht und um Geld. Ein verwirrender Sonderfall etwa ist Heinrich Ehmsen, der im Verständnis der Nationalsozialisten als Arier galt, allerdings politisch und künstlerisch nicht einzuordnen war. Sein 1927 entstandener Zyklus mit Radierungen zu Gerhart Hauptmanns Roman „Der Narr in Christo Emanuel Quint“ ist eindeutig von expressionistischen Einflüssen geprägt. Ehmsens Bilder wurden in der „Entartete Kunst“-Ausstellung gezeigt, Ehmsen intervenierte mit Erfolg, wurde 1939 in die Reichskulturkammer aufgenommen und arbeitete in Kriegszeiten als Maler für eine Propagandastaffel.

Das Gegenbeispiel dazu ist die Malerin Lotte Laserstein, die 1927 mit Auszeichnung ihr Studium an der Akademischen Hochschule für die bildenden Künste in Berlin abschloss und tatsächlich in ihren Porträts eher einem sachlich-realistischen Stil zugewandt war. Trotzdem waren ihr, die als „Dreivierteljüdin“ eingestuft wurde, nach und nach sämtliche Ausstellungsmöglichkeiten verschlossen. 1937 emigrierte Laserstein nach Schweden, wo sie hauptsächlich von Auftragsarbeiten lebte. Die Familienporträts der Grafenfamilie Trolle sind in Frankfurt zu betrachten. Lotte Laserstein starb 1993 im schwedischen Exil. Die erste große Retrospektive mit ihren Werken auf deutschem Boden wurde 2003 in Berlin gezeigt.

Wieder komplett anders gelagert ist das Schicksal der in Dresden geborenen Elfriede Lohse-Wächtler, die dem Freundeskreis um Otto Dix angehörte. 1935 wurde sie zwangssterilisiert, fünf Jahre später in die Landesheil- und Pflegeanstalt Pirna- Sonnenstein eingewiesen und im Rahmen eines Euthanasieprogramms ermordet. Die offizielle Todesursache lautete „Lungenentzündung“ und „Herzmuskelschwäche“. Die Ausstellung dokumentiert neben Werken der Künstlerin auch den empörten Protestbrief ihres Vaters an das Ministerium (der ihm wiederum Repressionen einbrachte).

Gewinner und Verlierer: Was 1938 in die Wege geleitet wurde, hatte Auswirkungen auf den Kunstbetrieb nicht nur bis 1945, sondern weit darüber hinaus, bis in die Strukturen der neu formierten Bundesrepublik. Bereits seit 1933 wurden jüdische Kunsthändler diffamiert, wurde der Betrieb systematisch „entjudet“. Hugo Helbing war einer der bekanntesten und geschätztesten Kunsthändler und -auktionäre der Weimarer Republik. 1936 musste er sein Münchener Auktionshaus schließen, 1938 wurde er in seiner Münchener Wohnung von den Nationalsozialisten ermordet. Mit Helbings Entmachtung und Enteignung geht der Aufstieg Adolf Weinmüllers einher. 1931 der NSDAP beigetreten, wurde Weinmüller 1933 erster Vorsitzender des Bundes der Deutschen Kunst- und Antiquitätenhändler, ab 1939 arbeitet er als Sachverständiger des Propagandaministeriums. Innerhalb kurzer Zeit hatte Weinmüller eine Monopolstellung im Marktgeflecht zwischen München, Wien und Berlin inne, war eingebunden in den „Sonderauftrag Linz“, der die Aufgabe hatte, Kunstwerke für das in Linz an der Donau geplante Führermuseum zu beschaffen. Weinmüller wurde im Zuge des Entnazifizierungsprozesses als Mitläufer eingestuft. 1948 eröffnete er seine Kunsthandlung in München, die er bis zu seinem Tod im Jahr 1958 betrieb.

Ein Extraraum der Frankfurter Ausstellung beschäftigt sich mit zwei der Lieblingsmaler Hitlers, Rudolf von Alt und Edmund Steppes. Und auch hier wird mit einem falschen Urteil aufgeräumt, nämlich dem, dass den Nationalsozialisten gefällige Kunst automatisch auch schlechte Kunst gewesen sein muss. Steppes wurde 1944 in die Liste „gottbegnadeter Künstler“ aufgenommen. 1953 erhielt er das Bundesverdienstkreuz. Kontinuitäten, wohin man auch schaut.

bis 23.2., Jüdisches Museum Frankfurt/Main, Katalog (Wallstein Verlag) 24,90 €

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