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Der irische Autor John Boyne, 49

© Piper Verlag

John Boynes Roman "Die Geschichte eines Lügners": Immer dieser Kummer mit dem Stoff

Unbedingte Sehnsucht nach literarischem Ruhm: John Boyne erzählt „Die Geschichte eines Lügners“, der vor allem ein Geschichtendieb ist.

Es muss für einen Schriftsteller eine Qual sein, zwar gut schreiben zu können und auch unbedingt Schriftsteller sein und als solcher Erfolg haben zu wollen, aber keine Stoffe zu haben, kein Gespür für gute, interessante Geschichten. Das Resultat: langweilige Romane.

Genau das ist das Problem der Hauptfigur von John Boynes jüngsten Roman „A Ladder to the Sky“, dem jetzt der deutsche Verlag den nur unzureichend passenden Titel „Die Geschichte eines Lügners“ gegeben hat.(aus dem Englischen von Maria Hummitzsch und Michael Schickenberg.  Piper, München 2021.426 Seiten, 24 €.)

Dieser Lügner, der noch viel Schlimmeres anstellt als bloß zu lügen, wie sich im Verlauf des Romans herausstellt, heißt Maurice Swift und kellnert zu Beginn seiner Literatenkarriere in den späten achtziger Jahren im Berliner Savoy Hotel in der Fasanenstraße.

Hier lernt er kurz vor dem Mauerfall einen berühmten älteren Schriftsteller kennen, Erich Ackermann. Dieser wurde in Deutschland geboren, ist nun schon lange in Cambridge Anglistik-Professor und hat gerade den „Prize“ gewonnen, den Booker Prize, wie man annehmen kann (ohne dass John Boyne ihn explizit so nennt).

"Zwei Deutsche" heißt der Erfolgsroman von Boynes Helden

Swift und Ackermann freunden sich an, auch weil der junge Mann überaus gut aussieht und Ackermann homoerotische Neigungen hat. Swift wird Ackermanns Assistent, er begleitet ihn auf einer Lesetour durch verschiedene europäische Städte, und nach und nach berichtet der Ältere von seiner Jugend im nationalsozialistischen Berlin.

Vor allem erzählt er eine homosexuelle Liebesgeschichte, die mit einem Verrat endet – der Freund ist jüdischer Herkunft. In der Nacht, in der er und seine Eltern aus Deutschland fliehen wollen, denunziert Erich Ackermann die Familie bei der Gestapo.

Maurice Swift, der sich zunehmend wieder von seinem Mentor entfernt, schreibt nun mit „Zwei Deutsche“ genau über diesen Verrat seinen ersten Roman; einen „wahren“ Roman, wie er in Interviews betont: „Auch wenn ich um der Story willen einige Figuren komplett erfunden und andere aus mehreren realen Personen zusammengeschmolzen habe, entsprechen die grundlegenden Fakten der Wahrheit.“

Die Karriere und der Ruf von Ackermann sind zerstört, er verliert seinen Posten in Cambridge und kehrt nach Berlin zurück. Und Swift? Hat riesigen Erfolg mit „Zwei Deutsche“ und schreibt danach zwei weitere Romane, die schlecht sind und sich nicht verkaufen.

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Die Geschichte mit Erich Ackermann ist nur die erste Episode dieses weit über vierhundert Seiten zählenden Romans. Boyne erzählt in zwei weiteren großen Kapiteln und zwei sogenannten Zwischenspielen, wie es Maurice Swift immer wieder aufs Neue gelingt, sich die Geschichten der anderen anzueignen.

Der Frauen wie Männer gleichzeitig anziehende und in dieser Hinsicht auch sehr offene Swift bedient sich zum Beispiel des fertigen, noch nicht veröffentlichten Romans seiner Ehefrau Edith Camberley (der er dabei noch viel Schlimmeres antut). Oder er gründet später in New York eine Literaturzeitschrift, um hier an so viele Ideen und Geschichten wie möglich zu kommen.

Der 1971 in Dublin geborene John Boyne, den man auch als erfolgreichen Kinder- und Jugendbuchautor kennt und der mit dem Roman „Der Junge im gestreiften Pyjama“ seinen größten Erfolg hatte, weiß die Geschichte von Swift locker und flott und ohne große sprachlichen Finessen aufzubereiten, mitunter mit ein paar satirischen Einsprengseln. Durchaus anzurechnen ist ihm, dass er von Kapitel zu Kapitel die Perspektiven wechselt.

Gore Vidal und Howard Austen sind auch dabei

In den Zwischenspielen fungiert er als auktorialer Erzähler; Ackermann und Camberley wiederum kommen als Ich-Erzähler zu Wort und berichten höchstselbst ihre unseligen Erfahrungen mit Swift. Am Ende ist der Geschichtendieb selbst dran als Ich-Erzähler, da startet er als Alkoholiker und ständiger Kneipenhocker einen letzten Versuch, um den „Prize“ zu gewinnen.

Obwohl Boyne also eine Menge an literarischer Form auffährt, er seinen Helden von vielen Seiten betrachtet, fragt man sich bisweilen, was er eigentlich genau bezweckt mit seinem Roman. Eine straffe, böse Literaturbetriebssatire ist es nicht.

Denn wie sehr Autoren und Autorinnen den Erfolg wollen und wie sie dafür ihre Fähnchen in den Wind hängen, ist das eine; das andere sind die Storys von Ackermann, die etwas Takis-Würgerhaftes hat, und jene von Cumberley, in der wiederum viel Familientrouble mitdrinsteckt – in beiden bekommt man den Eindruck von überflüssiger Staffage, da mangelt es allen Figuren an Kontur.

Das fällt umso mehr auf, weil das eine, nicht weiter bedeutsame Zwischenspiel den wahren Gore Vidal und seinen Lover Howard Austen in Süditalien porträtiert; es ist die beste, kräftigste Passage dieses Romans. Auch Swift bleibt eine vage Figur, was bei so jemand vielleicht gar nicht anders sein kann: Ego und Erfolgsstreben gehen nunmal vor Seele und Tiefe.

Boyne hat zwar eine gute Geschichte, er hat sicher keinen langweiligen Roman geschrieben, dafür aber einen indifferenten, etwas zu leicht dahinschlackernden. Für den Booker Prize war er deshalb auch nicht nominiert.

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