zum Hauptinhalt
Patientin aus der Hölle. Raf (Valeria Bruni Tedeschi) terrorisiert mit ihren Sonderwünschen das Pflegepersonal.

© Alamode

„In den besten Händen“ im Kino: Die Notaufnahme als Spiegelbild der französischen Gesellschaft

In der Krankenhaus-Komödie eskalieren die Gelbwesten-Proteste von 2019. Vor der Präsidentschaftswahl besitzt der Film wieder eine erstaunliche Aktualität.

Von Andreas Busche

Der erste Riss zeichnet sich in Catherine Corsinis „In den besten Händen“ gleich zu Beginn ab: eine passiv-aggressive Flut von Textnachrichten mitten in der Nacht, obwohl Raf (Valeria Bruni Tedeschi) und Julie (Marina Foïs) nebeneinander im Bett liegen.

Am nächsten Morgen hängt der Haussegen wieder schief, diesmal scheinbar irreparabel. Die Beziehungsdynamik der beiden Frauen ist vergiftet, Julies Sohn Eliott (Ferdinand Perez) hat sich an die Dispute am Frühstückstisch gewöhnt. Der Teenager lässt an diesem Morgen die Schule sausen, er will zu den Gelbwestenprotesten, die im Frühjahr 2019 in Frankreich eskalierten. Seine Mutter stürmt genervt aus dem Haus.

Der Bruch, von dem Corsinis Komödie im französischen Originaltitel „La fracture“ erzählt, ereignet sich dann ganz buchstäblich. Als Raf ihrer Partnerin schuldbewusst hinterherlaufen will, stolpert sie und bricht sich – unbemerkt von Julie – den Arm. Sie landet in der Notaufnahme, wo man sich gerade auf eine heftige Schicht einstellt.

Die Unfallstation ist unterbesetzt, und die ersten Demo-Opfer werden bereits eingeliefert, darunter der Lastwagenfahrer Yann (Pio Marmaï), der hunderte Kilometer zurückgelegt hat, um seinem Unmut über die Politik Emmanuel Macrons Ausdruck zu verleihen. Währenddessen diskutieren die Pflegerinnen und Pfleger über die Anweisung von oben, die Namen der Verletzten der Polizei zu übergeben.

Risse, die sich aus den Familien bis in die Gesellschaft durchziehen, sind in Zeiten demokratisch ermächtigter Populisten zum geflügelten Wort geworden. Die französische Regisseurin Catherine Corsini hat für die politischen Verwerfungen ein sinnfälliges Genre gefunden: die Arbeitsplatzkomödie, die das große Leben im Kleinen abbildet.

[Alle aktuellen Nachrichten bekommen Sie mit der Tagesspiegel-App live auf ihr Handy. Hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen.]

Als „In den besten Händen“ vergangenes Jahr im Wettbewerb von Cannes lief, waren die Gelbwestenproteste, die ursprünglich auf die Erhöhung der Benzinsteuer zurückgingen, fast schon wieder historisch; die Corona-Maßnahmen hatten die gesellschaftlichen Brüche fortgesetzt. Nun, zwischen einem Wirtschaftsboykott gegen Russland und Präsidentschaftswahlen, besitzt Corsinis Film wieder eine erstaunliche Aktualität.

Valeria Bruni Tedeschi spielt eine nervtötende Patientin

Dass „In den besten Händen“ als Zeitbild und Sozialdrama gerade so gut funktioniert, ist also auch den Umständen geschuldet. Seine Qualitäten als Screwball-Komödie sind dagegen ein Verdienst Corsinis, die mit Agnès Feuvre und Laurette Polmanss das Drehbuch geschrieben hat. Und, nicht zu vergessen, Valeria Bruni Tedeschi, die hochdramatisch eine Notfallpatientin aus der Hölle gibt, ständig pflegebedürftig und blind für die schwer verletzten Mitmenschen um sie herum – wofür sie zur Strafe vom Personal von einem Warteraum in den nächsten geschoben wird.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

„Was willst du bei den Demonstrationen?“, hat Raf am Morgen noch Eliot gefragt. „Die wählen doch alle Le Pen.“ Die Menschen, die dann aber kurz darauf in der Notaufnahme eintreffen, stellen einen breiten Querschnitt durch die französische Gesellschaft dar. „Spinnst du, warum soll ich Le Pen wählen?“, fährt Yann Raf an, die sich im Schmerzmittel-Delirium mit allen anlegt. Die Comiczeichnerin verkörpert für ihn, was in Frankreich für die Arbeiterklasse schiefläuft: Die Liberalen ruhen sich auf den Errungenschaften der Vergangenheit aus, aber die Zeiten Mitterands haben mit der neoliberalen Politik Macrons nichts mehr zu tun.

Im Krankenhaus wird die soziale Diskrepanz offensichtlich. Die Pflegerin Kim (Aissatou Diallo Sagna) schiebt gerade die sechste Schicht am Stück, obwohl sie zuhause ein krankes Kind hat. Schlecht bezahlt, unterbesetzt: Sie will kündigen. Jetzt muss sie nur noch diesen Dienst überstehen. Vor der verbarrikadierten Tür steht schon die Polizei bereit, um die verletzten Protestierenden zu verhaften.

(Der Film läuft in neun Berliner Kinos, auch Original mit Untertiteln.)

„In den besten Händen“ ist im besten Sinn Sozialkritik á la Ken Loach, läuft dabei aber nur selten Gefahr, sich – wie in der französischen Komödie in der jüngeren Zeit üblich – in Sentimentalitäten zu flüchten. Und wenn die Dialoge gelegentlich sozialkritische Stanzen bieten, sorgen Corsini und ihre Ko-Autorinnen dafür, dass die Wortgefechte zwischen Bruni Tedeschi, Foïs und Marmaï jeden Anflug von Sozialpathos wieder hinwegfegen.

„In den besten Händen“ verschiebt den Tonfall immer wieder klug zwischen den Genres: Sozialdrama, Komödie, Western, mit der Kavallerie vor den Toren. Die gesellschaftlichen Positionen, die in der Notaufnahmen aufeinander treffen, sind arg verkürzt, da Corsini aber der Form der Arbeitsplatzkomödie treu bleibt, bekommt das Sitcom-Setting einen fast dokumentarischen Charakter.

So wird die Figur von Kim schließlich zur Hauptprotagonistin. Aissatou Diallo Sagna arbeitet als Pflegerin; mehr als nur ein Stunt-Casting. Corsini zeigt ausführlich die Arbeit des Pflegepersonals im Belagerungszustand, die Handgriffe in der Notaufnahme sind so wichtig wie die Pointen im Drehbuch. Und Diallo Sagna wächst in ihrer Rolle über sich hinaus. Vor zwei Sommern standen die Menschen auf den Balkonen und applaudierten. „In den besten Händen“ ist nun gewissermaßen eine filmische Hommage an die Pflegerinnen und Pfleger.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false