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Kultur: In der Kälte des Tages

Lebenssuche: „Blue Moon“ und „Scherbentanz“

Sollte das wirklich eine Fortsetzung von „Indien“ sein? In „Indien“ war Indien Österreich. Keinen Augenblick verließ der Film die verregnete Provinz, die eigentlich viel zu klein und eben viel zu provinziell war für ein richtiges Roadmovie. Diesmal kommt der Film viel weiter – durch die ganze Slowakei, über Kiew, Dnepropetrowsk bis ans Schwarze Meer nach Odessa. Und das ist schon der Unterschied. Der ums Ganze. Und die Schlussszenen. Am schwindelnden Abgrund des Kitsches alle beide, aber „Blue Moon“ fällt hinein.

Nichts Doppelsinniges ist hier mehr, Andrea Maria Dusls erster Film spielt nicht mit der Wirklichkeit - er filmt sie nur. Ein bisschen dokumentarisch, ein bisschen mit Zug zum großen Kino. Und was ist großes Kino? Eine große Liebesgeschichte, vielleicht.

Natürlich war es viel schöner, Josef Hader zuzusehen, wie er begann, den Außendienstmitarbeiter Nummer 2 zu lieben – statt jetzt diese Patricia Arquette des Ostens. Obwohl Victoria Malektorovych ganz sicher die eigentliche Entdeckung von „Blue Moon“ ist. Eine der beliebtesten ukrainischen Schauspielerinnen, ein atemberaubendes, ikonengleiches Kinogesicht. Völlig klar, dass der österreichische Geldkurier Johnny Pichler ihr verfällt und es überhaupt nur der kalten Geistesgegenwart des Callgirls aus der Ukraine zu verdanken hat, dass er mit Geld und Leben davonkommt. Völlig klar auch, dass er sie suchen wird, bis hinunter nach Odessa. Denn der Mann hat Zeit. Wir wissen nicht mehr über ihn, als dass Johnny Pichler ein unfähiger Geldkurier ist und eine Oma hat, die Pichler-Oma, die an sämtlichen dramatischen Stellen im inneren Monolog ihres Enkels zu Wort kommt.

Die Schwierigkeit von „Blue Moon“ besteht nun darin, dass er eigentlich gar keine dramatischen Stellen hat. Denn obwohl der Film immerzu unterwegs ist, kommt er vorwärts wie ein Sonntagsfahrer: Er könnte diese Abfahrt nehmen oder auch die nächste. Nichts scheint notwendig, keine Situation, keine Kameraeinstellung. Und obwohl er überdeutlich mit dem Stil der Dogma-Filmer kokettiert, hat er doch nie dessen Strenge. Das Schlimmste aber: Er wirkt manieriert, und nicht einmal die Hader-Buck-Dialoge helfen ihm da heraus.

Der deutsche Film hat einfach oft kein Talent zum Beiläufigen. Auch „Scherbentanz“ von Chris Kraus trägt schwer an seinem unbedingten Willen zur Bedeutung. Der Regisseur hat seinen eigenen, im Frühjahr erschienenen Roman verfilmt – und nur so wohl sind Off-Gedanken im Stile von „Irgendwo über uns fliegen Gänse in der Nacht. Wer bin ich“ zu erklären. Alles ist hier romanhaft: der reiche, etwas bröckelnde Landsitz einer reichen, etwas bröckelnden Familie. Und in Jesko (Jürgen Vogel), dem Mode-Designer, bröckelt es am stärksten.

Jesko hat Leukämie. Aber ein Familienmitglied ist noch da, ein antithetisches, wie es in Romanen vorzukommen pflegt. Die seit über 20 Jahren verschollene Mutter (Margit Carstensen) ist ein menschliches Wrack, ein alt gewordenes Mädchen aus der Gosse. Als Hilflose hat sie immer zugeschlagen und so die Kindheit ihrer Söhne auf dem Gewissen. Nun ist sie die einzige, die mit einer Knochenmarksspende ihren Sohn retten könnte. Der Ekel des Sohnes, dieser Frau noch einmal nahekommen zu müssen, von ihr noch einmal das Leben zu empfangen – das schürzt einen Knoten, der über das Romanhafte hinauskommt. Jürgen Vogel ist der richtige Schauspieler für diesen Part, weil er jeden seiner Sätze um mindestens zehn Grad abkühlt. Trotzdem: Sowohl „Blue Moon“ als auch „Scherbentanz“ fehlt vor allem die Kälte gegen sich selbst.

„Blue Moon“ im Broadway, FT Friedrichshain, Hackesche Höfe, Kant und Neues Off;

„Scherbentanz“ im Broadway, Filmkunst 66, Filkmtheater am Friedrichshain, in den Hackeschen Höfen und im Yorck

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