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Protestierende Frauen in Teheran

© Foto: IMAGO/Social Media

Internationales Literaturfestival Berlin: Katastrophale Lage in Teheran

Die Schriftsteller Navid Kermani, Amir Gudarzi und die deutsch-iranische Journalistin Gilda Sahebi erinnern auf dem ilb an die Lage der Inhaftierten im Iran - und diskutieren das sogenannte Alphabet der feministischen Revolution.  

Manche Dinge werfen einen langen Schatten, und oft sind es die schlechten. Dazu gehört der niederschmetternde Befund, dass Kunstschaffende noch immer hinter Gefängnismauern verschwinden, wenn sie einem Regime nicht genehm sind.

Vor fast 30 Jahren rief das Straßburger Schriftstellerparlament das Projekt „Städte der Zukunft“ ins Leben. Mit dem sollte verhindert werden, dass „wir erst ermordet werden müssen, bis man uns Beachtung“ schenkt, wie der damals im Iran verfolgte und nach Frankfurt geflüchtete Literaturkritiker und Journalist Farradsch Sarkuhi anlässlich der Vorstellung der Initiative 1999 bitter bemerkte.

Die Menschenrechtslage in seinem Land hat sich nach der überraschenden Revolte vor einem Jahr sogar noch verschlechtert, das Regime in Teheran sperrt Künstlerinnen und Filmemacher, Schriftsteller und Journalistinnen weg, viele sind vom Tode bedroht.

Keine aktive Kulturszene mehr

Und jedes Jahr anlässlich des Internationalen Literaturfestivals wird auf mehr oder weniger prominent besetzten Podien von den Writers in Exile beklagt, dass sich die Situation im Iran – und natürlich auch in anderen Ländern – verschlimmere und kaum jemand Kenntnis vom Schicksal der Verfolgten nähme. Das ist deprimierend, auch für diejenigen, die darüber schreiben.

Dieses Jahr übernahmen die Erinnerung an die Inhaftierten neben Navid Kermani, der am Mittwoch bereits die Eröffnungsveranstaltung des Festivals mitbestritten hatte, die deutsch-iranische Journalistin Gilda Sahebi und Amir Gudarzi, der die einzige Theaterschule im Iran besucht hat und heute in Wien lebt. Die momentane Lage sei katastrophal, berichten sie. „Früher standen die Leute Schlange vor den Theatern“, so Gudarzi, „heute gibt es kaum mehr eine aktive Kulturszene.“

Doch im Mittelpunkt der Veranstaltung stand das „Alphabet der feministischen Revolution“, die im Iran vergangenes Jahr einen so eruptiven Anfang genommen hatte. Inzwischen stagniert sie, nicht zuletzt, weil es der iranischen Führung gelang, sich außenpolitisch zu stabilisieren. Wobei von Revolution, darin waren sich die Podiumsgäste einig, eigentlich nicht gesprochen werden kann, eher von einer Revolte, allerdings einer, deren Effekte nicht mehr rückgängig zu machen sind. An eine Reform des Regimes wie früher glaubt niemand mehr.

Er sei beunruhigt und bedrückt gewesen, erzählte Kermani. Denn als er die Bilder von den Menschen auf den Straßen in Teheran sah, habe er sich vorgestellt, da könnte auch seine Tochter dabei sein. Gudarzi war anfangs eher pessimistisch, dann jedoch überrascht vom generationenübergreifenden Widerstand und der Solidarität.

Die Basis des Regimes wird immer kleiner, aber niemand weiß, wie lange es noch dauert.

Navid Kermani

Ähnlich schätzt es auch die gerade zur Politikjournalistin des Jahres gekürte Sahebi: „Oft sind es nur Kleinigkeiten, die sich geändert haben, aber von großer Symbolkraft.“ Dass gerade die Zwangsverschleierung im Mittelpunkt der Auseinandersetzung steht, zeige, dass die ältere feministische Tradition im Iran von den jüngeren Frauen aufgenommen und weitergetragen werde.

Kermani berichtete, dass bei den Freitaggebeten, die er zuletzt im Iran besucht habe, kaum mehr jüngere Leute anwesend seien. „Die Basis des Regimes wird immer kleiner, aber niemand weiß, wie lange es noch dauert.“ Immerhin, so Gudarzi, habe es dafür gesorgt, dass sich die Menschen von der Religion abgewandt hätten.

„Tief enttäuscht“ sind die Diskutanten allerdings von der Außenpolitik der Bundesregierung, „von der man geglaubt habe, sie sei für die Verteidigung der Menschenrechte angetreten“, so Kermani. Sie habe den günstigen Moment verpasst, die weltweite Solidarität mit den Frauen, selbst in China zu nutzen und ein diplomatisches Zeichen zu setzen, aus reinem energiepolitischem Opportunismus. Auf Appelle verzichtete das Podium, Sahebi warb unter Applaus jedoch dafür, sich trotz aller Krisenabstumpfung sein Mitgefühl zu bewahren.

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