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Die Personifikation von Afrika hält ein Buch mit der Aufschrift „SCIENTIA“ (Wissenschaft). Sie sitzt auf einem Bronzeleuchter, der um 1180 entstand.

© Florian Monheim/Dommuseum Hildesheim

Die lange Geschichte des Islams in Europa : Als die Erleuchtung aus dem Süden kam

Die Ausstellung „Islam in Europa 1000-1250“ in Hildesheim zeigt, wie sehr die Kulturen in der Zeit der Kreuzzüge miteinander verflochten waren.

Das Mittelalter ist nicht finster, es funkelt und strahlt. Auf einem vergoldeten Bronzeleuchterpaar, das Ende des 12. Jahrhunderts im Maasgebiet entstand, hocken drei allegorische Frauenfiguren auf Drachenfüßen. Sie verkörpern die damals dort bekannten Erdteile.

Europa hält ein Schwert und ein Schild, auf dem „BELLVM“ (Krieg) steht, Asien ist mit einem gefüllten Krug als Ausdruck von „DIVITIE“ (Reichtum) zu sehen. Afrika aber trägt ein aufgeschlagenes Buch mit der Inschrift „SCIENTIA“ (Wissenschaft). Die Erleuchtung kam aus dem Süden.

Das Weltbild, das sich in dieser filigranen Kunstschmiedearbeit aus dem eigenen Kirchenschatz zeigt, stützt die Thesen der Ausstellung „Islam in Europa. 1000 – 1250“ im Hildesheimer Dommuseum.

Denn die Kulturen waren in der Zeit der Kreuzzüge nicht nur eng miteinander verflochten, sondern die arabisch-islamische Welt erwies sich dabei in vielerlei Hinsicht als überlegen. Dort war das antike Wissen bewahrt und weiterentwickelt worden, in der Medizin, Mathematik oder Astronomie war der Vorsprung immens.

So ist gleich neben dem Leuchterpaar eine Handschrift des „Liber Pantegni“ ausgestellt, das medizinische Grundlagenwerk eines persischen Arztes, das im 11. Jahrhundert zu den ersten Werken gehörte, die aus dem Arabischen ins Lateinische übersetzt wurden. Ein Stück weiter liegt ein arabisches Astrolabium, 1030 in Toledo hergestellt, mit dem sich geografische Daten bestimmen ließen, wichtig gleichermaßen für die Seefahrt und die Gebetsrichtung.

Die iberische Halbinsel, im Süden jahrhundertelang arabisch besetzt, war ein zentraler Schauplatz des Wissenstransfers von der muslimisch in die christlich geprägte Sphäre. Dem andauernden militärischen Konflikt zum Trotz wurde der Austausch durch die religiöse Toleranz der Kalifen gefördert.

Fast hundert erlesene Exponate sind zu der Mittelalter-Schau zusammengekommen, neben Stücken aus dem zum Unesco-Weltkulturerbe gehörenden Hildesheimer Domschatz auch Leihgaben aus dem Louvre, dem Londoner Victoria and Albert Museum oder von der Berliner Museumsinsel.

„Hier drehen sich die heutigen Verhältnisse komplett um“, sagt Kurator Felix Prinz, Mitteleuropa habe vor tausend Jahren zur kulturellen Peripherie gehört. So umfassend wurde wohl noch in keiner Ausstellung von den Verbindungen erzählt, die vom heutigen Iran und Irak über Nordafrika und Sizilien bis nach Norddeutschland reichten und die Grenzen von Religion und Sprache überwanden.

Mitteleuropa war Peripherie

Die Prachtentfaltung ist groß. Gleich am Eingang werden die Besucher von einem silbernen, mit Halbedelsteinen besetzten Reliquiar aus dem 10. Jahrhundert empfangen, auf dem die Muttergottes als Himmelsherrscherin dargestellt ist. Bekrönt wird sie von einem Glashäubchen, das sich bei näherem Blick als Schachfigur entpuppt. Die Figur, ein Bauer, wurde wohl in einer abbasidischen, also westasiatischen oder nordafrikanischen Werkstatt aus einem Bergkristall geschliffen und bezeugt so den Weg des Spiels der Könige von Indien nach Europa.

Doch auf dem Reliquiar findet sich noch eine weitere Rarität: ein Siegelstein mit dem eingravierten arabischen Namen „Muhammad ibn Ismail“ und einer fragmentierten zweiten Zeile, vielleicht eine Anrufung Gottes. Der Reichtum, mit dem ein Reliquienbehälter verziert wurde, sollte ein Vorschein des Himmlischen Jerusalem nach der Auferstehung der Heiligen sein, und die Gemme mit den fremden Schriftzeichen besiegelte die Nähe zum realen Ort von Jesus Tod am Kreuz. 

Bislang ist nur ein Dutzend solcher arabisch beschrifteter Schmucksteine auf christlichen Sakralgegenständen bekannt, gleich fünf davon sind in Hildesheim versammelt, darunter das Heinrichs-Kreuz aus Fritzlar und der Ansfrid-Codex aus Utrecht.

Platte vom Ambo Heinrichs II. im Aachener Dom mit abbasidischer Bergkristall-Tasse und Schachfiguren, 1002–1014.

© Domschatzkammer Aachen, Foto: Pit Siebigs

Luxusgegenstände aus der islamischen Welt gelangten gelegentlich als diplomatische Geschenke oder Kriegsbeute, meist aber als Handelsware nach Mitteleuropa. In die Gegenrichtung wurden Pelze oder Sklaven geliefert. Besonders begehrt waren neben Elfenbeinkästchen oder Seidenstoffen, in die man Reliquien einwickelte, Objekte aus Bergkristall. Zu sehen sind in Hildesheim etwa zwei Schmuckplatten vom Ambo Heinrichs II., die für die Ausstellung aus der Kanzel des Aachener Doms entnommen wurden.

Sie umfassen eine Tasse und einen Teller, die im 9./10. Jahrhundert im Reich des Bagdader Kalifen und in Byzanz aus Bergkristallen geschliffen wurden. In Aachen hat man sie ihrer Unterseite nach oben auf vergoldete Platten montiert und so von Gebrauchsgütern in übergroße Edelsteinornamente verwandelt. Im Kaiserreich der Ottonen war man zur Herstellung solcher Objekte aus klarem Glas nicht in der Lage.

Von Mitteleuropa aus gesehen seien im Hochmittelalter die glanzvollen Metropolen Cordoba, Palermo, Kairo und Konstantinopel „Sehnsuchtsorte“ gewesen, sagt Kurator Felix Prinz. Hildesheim hatte besaß nur etwa 4000 Einwohner, gehörte aber zu den Machtzentren des Reichs, weil die Bischöfe etwa als Erzieher zum Umfeld der Kaiser gehörten und sie oft auf Reisen begleiteten.

Von dort brachten sie Kostbarkeiten mit, von denen sich viele im Domschatz erhalten haben. Selbst der Bischofsstab des Heiligen Godehard – nach ihm ist der Gottharttunnel benannt – stammt aus einer arabischen Werkstatt in Sizilien. Seine spiralförmige Elfenbeinspitze endet mit dem Kopf einer Gazelle, ein Tier, das in der abendländischen Kunst nicht vorkam.

Auf die Migration der Dinge folgte die Migration von Menschen, in Hildesheim etwa von türkischen Arbeiterinnen, die ab den 1960er Jahren für das Blaupunkt-Werk angeworben wurden. Die Botschaft der herausragenden kulturhistorischen Ausstellung – sie ist auch auf Türkisch und Arabisch beschriftet – zielt in die Gegenwart: Der Islam gehört schon jahrhundertelang zu Deutschland.

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