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Kultur: Israel ist keine Glaubenssache

Vor 100 Jahren starb Theodor Herzl, der Begründer des bis heute von Linken und Orthodoxen bekämpften Zionismus

Am 3. September 1897 notierte Theodor Herzl in seinem Tagebuch: „Fasse ich den Baseler Congress in ein Wort zusammen – das ich mich hüten werde öffentlich auszusprechen – so ist es dieses: in Basel habe ich den Judenstaat gegründet. Wenn ich das heute laut sagte, würde mir ein universelles Gelächter antworten. Vielleicht in fünf Jahren, jedenfalls in fünfzig wird es jeder einsehen.“ Herzl sollte recht behalten. Am 29. November 1947, fast genau fünfzig Jahre später, verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Resolution 181, die die Grundlagen schuf für die Proklamation des Staates Israel im folgenden Jahr.

Theodor Herzl, 1860 in Budapest geboren, war 1878 nach Wien gekommen, wo er Jura studiert und Gesellschaftskomödien („Muttersöhnchen“, „Wilddiebe“) verfasst hatte, bevor ihn die „Neue Freie Presse“ als Korrespondent nach Paris schickte. Dort erlebte er 1894 die der Verurteilung des jüdischen Hauptmanns Alfred Dreyfus folgenden antisemitischen Krawalle. Der Pöbel, der durch die Straßen des einst revolutionären Paris zog und „Tod den Juden“ schrie, ließ in Herzl die Überzeugung reifen, dass der Ruf „Hinaus aus dem Ghetto“, mit dem sein Drama „Das neue Ghetto“ geendet hatte, noch nicht die Lösung war. Herzl zweifelte zunehmend an der Möglichkeit der Emanzipation und der friedlichen Koexistenz in einer mehrheitlich nichtjüdischen Gesellschaft und begann, über eine nationaljüdische Alternative nachzudenken.

1897 berief Herzl den 1. Zionistenkongress nach Basel ein, nachdem das Münchner Rabbinat eine Anfrage abschlägig beschieden hatte. Der Kernsatz des in Basel verabschiedeten Programms lautete: „Der Zionismus erstrebt für das jüdische Volk die Schaffung einer öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstätte in Palästina.“ Diese Formulierung war ein Kompromiss, vermied sie doch die ausdrückliche Forderung eines souveränen Staates, ließ aber gleichwohl Herzls Überzeugung erkennen, dass es weder um eine soziale noch eine religiöse, sondern um eine nationale Frage ging. „Wir sind ein Volk, ein Volk.“, hatte er im Jahr zuvor in seiner Schrift „Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage“ geschrieben, die ihn binnen weniger Monate zum populärsten Vorkämpfer eines säkularen jüdischen Nationalismus gemacht hatte. Bei aller persönlichen Popularität Herzls blieb der Zionismus aber bis zur Shoah die Strömung einer Minderheit innerhalb des europäischen Judentums. Die Orthodoxen lehnen ihn bis heute als antireligiös ab. Die Reformjuden glaubten weiterhin an die Möglichkeit einer Assimilation in der Diaspora bei gleichzeitiger Wahrung einer jüdischen Identität, etwa als „deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens“. Und die Sozialisten unter den Juden sahen in den Zionisten eine unerwünschte ideologische Konkurrenz.

Zugleich gab es auch innerhalb des Zionismus die unterschiedlichsten Strömungen, wobei sogar umstritten war, wo die jüdische Nation sich wieder zusammenfinden sollte. Herzl selbst war in dieser Frage nicht festgelegt. Ihm ging es um ein „für unsere gerechten Volksbedürfnisse genügenden Stückes der Erdoberfläche“. Ein Territorium in Argentinien schien ihm eine Möglichkeit, eine andere Palästina, „unsere unvergesslich historische Heimat.“ Andere Optionen, die in jenen Tagen diskutiert wurden, waren Uganda und Madagaskar. Und der reale Wanderungsstrom hatte ein noch ganz anderes Ziel. Als es nach der Ermordung von Zar Alexander II. 1881 zu schweren Pogromen in Russland und zu einer jüdischen Massenflucht kam, gingen zweieinhalb Millionen Juden in die Vereinigten Staaten, aber nur 70000 nach Palästina.

Zehn Jahre nach Herzls Tod brach der Erste Weltkrieg aus. Die Zionisten hatten, nachdem sich die Verhandlungen mit Kaiser Wilhelm II. als unergiebig erwiesen hatten, ursprünglich auf die türkische Karte gesetzt. Nun nahmen sie mit den Großbritannien, Frankreich und Italien Verhandlungen auf, worauf die drei Alliierten das zionistische Projekt billigten. Am 2. November 1917 wurde, auch mit Zustimmung des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson, die berühmte Balfour-Deklaration veröffentlicht, in der dem jüdischen Volk „die Schaffung einer nationalen Heimstätte in Palästina“ zugebilligt wurde. Diese Deklaration, in Millionen von Exemplaren verbreitet, war ein entscheidender Durchbruch für den organisierten Zionismus. Nach dem Ende des Weltkrieges kamen zunächst vor allem Einwanderer, die von der Hechaluz-Bewegung geprägt waren und das Kibbuz-System stärkten. Nachdem die USA ihre Einwanderungsbestimmungen deutlich restriktiver gefasst hatten, brachte die zweite Hälfte der 20er Jahre viele Einwanderer aus der bürgerlichen Mittelschicht nach Palästina, die insbesondere das 1908 gegründete Tel Aviv rasch anwachsen ließ. „Tel Aviv“, zu deutsch „Frühlingshügel“, hatte auch die hebräische Übersetzung von Theodor Herzls Roman „Altneuland“ geheißen. In diesem Buch, dem er einen Gutteil der letzten Lebensjahre widmete, beschrieb Herzl eine ideale Gesellschaft, in der Juden und Araber friedlich miteinander lebten. In der Realität führte der stete Einwandererstrom zu Spannungen. Gab es 1918 neben 600000 Arabern nur 56000 Juden, waren es 1931 bereits 175000 Juden gegenüber 859000 Arabern, und 1940, nachdem die nationalsozialistische Judenverfolgung die Emigration weiter gefördert hatte, standen 464000 Juden 1.081000 Arabern gegenüber.

Zu Herzls Zeit war die riesige arabische Bevölkerungsmehrheit den Zionisten kaum bewusst. So ist der Ausspruch, der Max Nordau zugeschrieben wird, symptomatisch: „In Palästina gibt es ja Araber! Das wusste ich nicht! Wir begehen also ein Unrecht.“ Die Zionisten hatten sich über die Araber keine Gedanken gemacht. Der Sultan sollte ihnen Palästina überlassen, im Gegenzug würde man die türkischen Finanzen sanieren. Weiter heißt es in Herzls „Judenstaat“: „Für Europa würden wir dort ein Stück des Walles gegen Asien bilden, würden den Vorpostendienst der Kultur gegen die Barbarei besorgen.“ Dies war ein Echo auf den kolonialen Gestus jener Zeit, der Herzl bei anderer Gelegenheit auch von einem jüdischen Kolonialreich in Afrika träumen ließ. Die jetzigen Bewohner Palästinas sollten dankbar sein, wenn sie „Arbeit, Verkehr und Cultur in ihr armes verkarstetes Land“ bekämen. Doch die Armut des verkarsteten Landes machte auch den Neusiedlern zu schaffen, und die Mehrheit der 40000 Einwanderer, die das Jahrzehnt nach Herzls Tod ins Land brachte, verließ Palästina wieder.

Am 14. Mai 1948 proklamierte Ben Gurion, unter einem Bild von Theodor Herzl stehend, die Unabhängigkeit. Schon am folgenden Tag griffen die benachbarten arabischen Staaten Israel an. Der berüchtigte Mufti von Jerusalem rief dazu auf, die Araber sollten gemeinsam die Juden vernichten. Doch die Israelis, schlecht bewaffnet und zahlenmäßig weit unterlegen, gewannen diesen ersten Krieg ebenso wie die folgenden. König Hussein von Jordanien hat die Souveränitätsrechte über die 1950 annektierte Westbank 1988 aufgegeben, ohne dass bis heute dort der von der UNO schon 1947 vorgesehene Palästinenserstaat entstanden wäre. Die von Ariel Scharon als Landwirtschaftsminister unter Menachem Begin betriebene Politik hat mehr als 200000 jüdische Siedler in das Westjordanland gebracht, dessen – überwiegende – Rückgabe nach wie vor auf der Tagesordnung steht.

Auf bilaterale Friedensverhandlungen ist vorerst aber so wenig zu hoffen wie auf einen Erfolg der Road Map. Sharon hat deshalb jetzt die Initiative ergriffen und als erster israelischer Ministerpräsident einen Plan zur Räumung jüdischer Siedlungen vorgelegt. Im Gazastreifen werden 1,3 Millionen Palästinenser zurückbleiben, für die die internationale Staatengemeinschaft eine Perspektive wird entwickeln müssen. Israel aber wird dem alten zionistischen Traum einer nationalen Heimstätte für die Juden wieder näher sein als es lange Zeit der Fall war.

Gerade im Sinne des von Theodor Herzl begründeten nationalen Projektes muss sich der Staat Israel gegen die Okkupationsstrategie der religiös motivierten Siedlerbewegung wenden. Dies scheint auf seine alten Tage auch Ariel Scharon einzusehen, der so die Chance hat, als wahrer Erbe Herzls in die Geschichte einzugehen.

Der Autor lebt als Historiker und Verlagsberater in Berlin. Er ist Herausgeber des Bandes „Theodor Herzl, Der Judenstaat. Texte und Materialien“, der vor kurzem im Philo Verlag erschienen ist.

SEIN LEBEN

Geboren am 2.Mai

1860 in Budapest, studierte der Österreicher Theodor Herzl Jura in Wien, arbeitete als Journalist und schrieb neben Theaterstücken und Romanen das fundamentale Werk „Der Judenstaat“ (1896). Herzl starb am 4. Juli 1904 in Niederösterreich.

SEINE VISION

Unter dem Einfluss der antisemitischen Pariser Dreyfus-Affäre warb Herzl als Präsident der Zionistischen Weltorganisation für einen eigenen jüdischen Staat.

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