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Jugendstil und Mystizismus. Jan Toorops Gemälde „Fatalisme“ aus dem Jahr 1893.

©  Kröller-Müller Museum, Otterlo

Jan Toorop im Bröhan-Museum: Vater der niederländischen Moderne

Jan Toorop gilt als Vater der niederländischen Moderne, der viele Stile ausprobierte und meisterte. Im Bröhan-Museum ist nun erstmals in Deutschland eine umfassende Retrospektive des Malers zu sehen.

Vor 125 Jahren stürzte Jan Toorop das Berliner Publikum noch in Verwirrung angesichts seiner verrätselten Bilder. Damals präsentierte der holländische Künstler in einer „Symboliker“-Ausstellung der Galerie Gurlitt sein Werk. Der Rezensent des „Berliner Tageblatts“ kapitulierte in seiner Kritik vom Dezember 1893: „Diese ganz und gar subjektiven Darstellungen der Gefühle eines Malers sind für jemanden aus dem europäischen Kulturkreis unbegreiflich.“ Womit sich der Schreiber so schwertat, ist noch immer zu verstehen. Toorop lebte und wirkte in seinem ganz eigenen Kosmos, übertrug seine Emotionen, seine Ängste in ein bildliches Vokabular, das zugleich mystisch überladen und konkret gegenwartsnah ist.

Berühmtheit erlangte sein Gemälde „Die neue Generation“ von 1892, das nun wieder in Berlin zu sehen ist, diesmal in einer großen Toorop-Einzelausstellung im Bröhan-Museum. Es zeigt im lichten Zentrum ein Kind, auf das eine Trauerweide seine Zweige senkt. Gleich daneben tritt aus einer Tür mitten in der Landschaft eine gesichtslose Frau mit verwelkten Blumen; den Vordergrund markieren Eisenbahnschienen und ein Strommast.

Die Szene spielt in einem finsteren Wald, dessen Boden von einem Wurzelwerk wie von blutigen Bahnen durchzogen ist. Hoffnung auf eine neue Generation sieht anders aus. Toorop, der Exzentriker, porträtierte hier seine verzweifelte junge Familie. Das Kind ist seine zweite Tochter; die erste verstarb gleich nach der Geburt, weil der Vater an Syphilis litt. Er selbst hat sich als Trauerweide dargestellt.

Vom Impressionismus zum Pointillismus bis hin zum Jugendstil

Heute fällt es zwar leichter, die Zeichen zu lesen, wenn man Toorops Geschichte und die gemalten Exaltiertheiten der Symbolisten kennt, doch lässt sich dieser Vater der holländischen Moderne noch immer nicht einfach packen. Zu sehr springt sein Werk hin und her, vom Impressionismus zum Pointillismus bis hin zum Jugendstil und schließlich seinem ganz eigenen Mystizismus, immer wieder kehrt er zwischendurch zu verlassenen Pfaden zurück. Erstmals ist es nun mit über 200 Beispielen in einer umfassenden Retrospektive in Deutschland zu sehen und liefert damit den passenden Hintergrund für das große Jubiläum, das in den Niederlanden gerade gefeiert wird: 100 Jahre de Stijl.

In den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts geboren, gehört Toorop zwar einer früheren Generation an, aber seine Begegnung mit Piet Mondrian, ihre Gespräche über Gott und die Kunst bereiten den Boden für eine Moderne, die wie eine höhere Gewalt alles hinwegfegt: „Wer Avantgarde sein will, muss zunächst religiös gewesen sein“, ist als Satz von Mondrian überliefert. Er könnte auch von Toorop stammen, der über seiner Ateliertür die großformatige, farbige Zeichnung „Linienspiel, das Aufkommen der neuen Kunst“ von 1893 hängen hatte. Die neue Kunst erscheint hier als vielköpfiges, vielbeiniges Wesen, das sich Trompeten blasend seinen Weg durch dorniges Gestrüpp bahnt. Die Trompeten Jerichos kommen nicht von ungefähr in den Sinn.

Er trat zum Katholizismus über, was sich auch in den Bildern zeigte

Mit de Stijl wollte Toorop trotzdem nicht gemeinsame Sache machen, auch wenn Theo van Doesburg persönlich anreiste, um ihm die erste Ausgabe der gleichnamigen Zeitschrift zu überreichen. Toorop blieb weiterhin bei seiner mystisch überladenen Bildsprache. Inzwischen war er zum Katholizismus konvertiert und malte gotisch anmutende Gestalten mit den strahlenden Augen Erleuchteter. Nur in der Drastik, mit der er die Bilderrahmen von ihren gipsernen Schnörkeln und goldüberpinselten Blumengirlanden befreite, darin waren sich dieser eigenbrötlerische Vorvater der holländischen Moderne und deren spätere Protagonisten einig. Auf ihn gehen die geweißelten, glatten Leisten zurück, in denen Gemälde bis heute aufgehängt werden.

Toorop mag in seiner Sprunghaftigkeit zwischen den Stilen irrlichternd erscheinen, aber er hat in der europäischen Kunstgeschichte seine Spuren hinterlassen – nicht nur den „Salatölstil“, der seinen Namen von einer Werbung des Malers für einen Delfter Salatöl-Hersteller erhielt. Das verschlungene Linienspiel der Haare und Kleider der beiden darauf dargestellten Frauen, die elegisch einen Salat anrichten, galt in Holland als programmatisch für den Jugendstil.

Gustav Klimt lässt sich von Toorop inspirieren

In Wien lässt sich Gustav Klimt von Toorops „Sphinx“ inspirieren. Der gleiche Zug Frauen, die melodramatisch ihre Arme in die Höhe reißen, ist fortan auch bei ihm zu sehen. Der „Beethovenfries“ in der Sezession ist ohne Toorops Vorbild nicht denkbar, seine grafischen Lineaturen kehren im Wiener Jugendstil wieder.

Auch der Schweizer Ferdinand Hodler profitiert von der starken Stilisierung des holländischen Künstlers. Toorop entwickelte das Motiv alter Männer auf einer Bank, die er am Hafen von Katwijk entdeckte hatte. Im nächsten Schritt entstand daraus das sinistre Blatt „Alte abergläubische Träumer; Hölle und Zweifel“. Hodler überhöht nochmals das Motiv. Sein berühmtes Gemälde „Die Lebensmüden“, fünf nebeneinandersitzende, ganz in Weiß gekleidete Greise, die nur noch den Tod erwarten, lässt sich eindeutig auf Toorop zurückführen. Auf den Rollstuhl angewiesen, driftete der Künstler in den 20er Jahren, gegen Ende seines Lebens, immer mehr ins Religiöse ab, gestaltete Bucheinbände für katholische Schriften, malte den Kreuzweg für die Kirche von St. Bernulphus in Oosterbeek. In ihrer Stilisierung wirken seine Figuren, als wären sie nicht mehr von dieser Welt.

Bröhan-Museum, Schlossstr. 1a, bis 21. Mai, Di–So 10–18 Uhr. Katalog (Wbooks Verlag) 32,10 €.

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