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Sweet Soul. Gregory Porter am Sonntag in der Philharmonie.

© DAVIDS/Dominique Ecken

Jazzsongs mit Gregory Porter: Verhaltene Luftsprünge

Gregory Porter ist ein sanfter Riese und derzeit der erfolgreichste Sänger des Jazz, In der Philharmonie gab er jetzt ein umjubeltes Konzert.

Als Gregory Porter kürzlich in der Town Hall von Manhattan auftrat, kam es zu einem Zwischenfall. Mitten in einem Lied, gerade brummte er selbstverloren ein paar Noten, packte er den Mikrofonständer, schlug die Faust in die Luft und dabei das Mikro versehentlich aus der Halterung, so dass es zu Boden polterte. Damit nicht genug: Diesem Ausbruch ließ Porter auch noch einen angedeuteten Scherentritt folgen. Eine kurze Eruption, keine große Sache – hätte es sich um einen Rock ’n’ Roller gehandelt. Doch Gregory Porter, bekannt als sanfter Riese, ist Jazzer. Der „New York Times“ war sein Ausbruch denn auch eine Betrachtung wert: Für einen Moment lang sei es gewesen, als sei eine andere Persönlichkeit zum Vorschein gekommen. Was wäre wohl, wenn „der innere Gregory Porter“ öfter zum Vorschein käme?

Sein Konzert in der Berliner Philharmonie nutzte Porter, um nach einem kleinen Anlauf mit beiden Füßen einen Luftsprung zu wagen. Da hatte er die Hälfte von zwei Dutzend Songs schon gesungen und arbeitete sich gerade an Nat Adderleys „Work Song“ ab. Der 1,90-Meter-Mann landete auf beiden Füßen. Dann rieb er sich demonstrativ das Knie und rückte den kleinen Ausbruch mit einer verlegenen Bemerkung über Sportlichkeit zurecht. Stehende Ovationen.

Porter, dessen zwei Berliner Konzerte im Handumdrehen ausverkauft waren, hat für einen Späteinsteiger eine kometenhafte Karriere hingelegt. Schuld sind zwei Schicksalsschläge: Ursprünglich wollte der heute 41-Jährige Profisportler werden, doch eine Schulterverletzung schickte ihn vom Football-Platz. Der zweite Rückschlag erwies sich als Glück im Unglück. Nach einer Entzündung der Bauchspeicheldrüse habe sich seine Stimme verändert, so Porter. Sein warmes, weiches Timbre machte ihn binnen kurzem zu einer der populärsten Stimmen des Soul-Jazz.

Wie weit die Bandbreite dieses Organs reicht, demonstrierte Porter in der Philharmonie. Mal rutscht es fast in den Bereich der Untertöne, dann erhebt sich sein Bariton, um sich ein Duell mit dem Tenorsaxofon zu liefern. Die Auswahl der Songs hat ihren Schwerpunkt auf dem letzten, erstmals auf dem Traditions-Label Blue Note (heute Universal) erschienenen Album „Liquid Spirit“. Dass es hier keiner Vorstellung bedurft hätte, beweist der Wiedererkennungs-Applaus, der oft schon nach den ersten Takten einsetzt: Auch in Berlin hat man die zu den meistverkauften Jazz-Alben aller Zeiten zählende Platte offenkundig eingehend studiert. Balladen wie „I Fall In Love Too Easily“ kommen ebenso zur Aufführung wie lyrische Sweet-Soul-Stücke à la „Hey Laura“. Porter zelebriert sie mit sparsamer, aber effektvoller Dramaturgie: Für „Wolfscry“ gehen die Musiker von der Bühne und überlassen dem Flügel erst einmal die Lufthoheit.

Unterwegs ist Porter in Begleitung seines Quartetts. Der Pianist Chip Crawford und der Saxofonist Yosuke Sato haben Porters Kompositionen für das jüngste Album arrangiert, im Konzert dürfen sie als Solisten glänzen. Stücke wie „Be Good“ entstehen aus einem ausgedehnten Solo des Kontrabassisten Aaron James, und auch Drummer Emanuel Harrold darf nicht nur mit dem Jazzbesen die Felle fegen. Beim Knüppeln unterstützt ihn der Sänger höchstpersönlich mit ein paar angedeuteten Schlägen auf die Becken. Die gestopfte Trompete von Curtis Taylor und den Groove der Hammondorgel von Glenn Patscha muss das Tourneepublikum zwar entbehren (damit leider auch Klassiker wie Dobie Grays „The ‚In’ Crowd“), doch wird es dafür mit viel Improvisation entschädigt.

Porters Erfolgsrezept, eine Melange aus Soul, Blues und Jazz, stellt ihn bei Hardcore-Jazzern unter Pop-Verdacht. Man muss ihn live hören, um diesen Verdacht zu entkräften. Nach gekonnten Einlagen im Scatten, der jazztypischen Vokalimprovisation, vielen Instrumental-Soli und kurzen Ausflügen in den Bebop kommt vielleicht kein anderer Porter zum Vorschein. Wohl aber ein routinierter, wenn auch nicht lupenreiner Jazzer. Bleibt nur noch die Frage nach der Kopfbedeckung. Kann man über Porter schreiben, ohne sich wieder einmal darüber zu wundern, warum er die Ohren unter seiner Ballonmütze mit einer seltsamen Sturmhaube bandagiert? Man kann.

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