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Kultur: Jenny und die Schreckschrauben

Was mache ich hier eigentlich? In Hannover!

Was mache ich hier eigentlich? In Hannover! Bei einer Uraufführung, im Staatstheater! Das kommt so: Der Dramatiker Moritz Rinke, der "Männer und Frauen""geschrieben hat, war Redakteur und ist Autor beim Tagesspiegel.Wir kennen und lieben ihn alle.Moritz Rinke hat wunderbare nußbraune Augen, mit deren Hilfe er Mann und Weib gleichermaßen zu bezaubern versteht.Wer sich als Tagesspiegel-Mensch vornähme, über ein Stück von Moritz Rinke eine richtige, echte Kritik zu schreiben, müßte folglich ein besonders kaltherziger Mensch sein, eine Art Milosevic der Feder.Aufgrund dieser Qualifikation gelangte ich nach Hannover, einer Stadt, deren Theater in ihr Programmheft den unsterblichen Satz aufgenommen hat: "Theater ist wie Sauna fürs Gehirn."

Die herrschende Meinung über den Dramatiker Rinke, nach zwei Stücken, lautet ungefähr folgendermaßen.Er ist ein Romantiker.Er sucht nach der blauen Blume, während die anderen jungen Theatermänner unentwegt ans Shoppen und ans Ficken denken, ans Gesellschaftliche und Kritische.Moritz Rinke möchte nicht kritisch sein, sondern ewig.In "Männer und Frauen", seinem dritten Stück, schickt Gott den Engel Heinrich auf die Erde, um für den Naturwissenschaftler Goldmann "die Passende" zu finden.Drei Versuche hat Heinrich, und eine einzige Frau ist tabu.Jenny.Denn Gott hat selber Interesse an Jenny.

Man kann sich denken, was passiert: die beiden ersten Frauen, die Goldmann sich unter dem einzigen Kriterium der Optik auf einer Videowand ausgesucht hat, werden unpassend sein, moderne Varianten der altehrwürdigen Gattung Schreckschraube.Die dritte Frau aber wird Jenny heißen.Diese Vorhersehbarbeit der Ereignisse gehört zu den Schwächen des Stückes "Männer und Frauen".Im Detail erinnert das Ganze stark an die Beziehungskomödien des deutschen Kinos, speziell an die Beziehungskomödien aus München, angereichert mit ein bißchen Wenders, "Der Himmel über Berlin".

Die erste Schreckschaube, blond, hochgestecktes Haar, überdreht, Werbebranche, quatscht zuviel.Die zweite Schreckschraube ist Psychologin, hat fünf Katzen und will vom Manne ganz und gar Besitz ergreifen.Manchmal meldet sich Mutter am Anrufbeantworter.Klassische Szenen und Figuren, Münchner Beziehungskomödie.Ab jetzt auch in einem Theater in ihrer Nähe.Die Inszenierung dauert 90 Minuten.Ihre Aussage lautet: Männer und Frauen passen nicht zueinander.Warum auch nicht? Warum nicht mal wieder eine Beziehungskomödie? Aber das Stück ist einfach nicht komisch genug, um erfolgreich verbergen zu können, daß es wenig zu sagen hat.Zwar gelingen Moritz Rinke manchmal sehr schöne Pirouetten.Die Tonlage bleibt allerdings unentschieden, sie schwankt zwischen pretiös, Klamotte und gepflegtem Salonstück.Eine der Nebenfiguren erzählt, wie sie auf den Fernseher onaniert hat, während gerade das Fußballspiel Österreich gegen Kamerun lief.Zum Ausgleich wird gleich zweimal das Lied "Der Mond ist aufgegangen" gesungen.Vielleicht hätte beides nicht unbedingt sein müssen.

Goldmann, die Hauptfigur, ist leider nicht sehr interessant.Er ist, genau genommen, sogar unsympathisch.Für unsympathische Personen interessiert man sich nicht gerne.Goldmann, der Gehirnforscher, arbeitet daran, die Liebe und den Sex synthetisch herzustellen, auf molekularer Ebene.Er ist sicher, eines Tages den Nobelpreis zu bekommen.Ein Mann, der ganz in seiner Karriere aufgeht.Im Grunde will er die Liebe gar nicht.Im Grunde findet er Frauen viel zu anstrengend, weil sie andauernd vom Mann etwas wollen und weil Goldmann mit der Liebe zu sich selbst völlig ausgelastet ist.Die Frauensuche wird ihm von Gott und Heinrich aufgedrängt.Den Anwälten des Ewigen.

Erich Sidler, der Regisseur, stand vor dem Problem, sich aus den mehreren Stücken, aus denen "Männer und Frauen" besteht, eines aussuchen zu müssen.Er hat sich entschieden.Die Schauspieler tragen das, was man in Hannover für schrille Kleidung hält.Unentwegt rutschen Hosen, oder weibliche Lippen nähern sich männlichen Reißverschlüssen.Thomas Schmauser als Heinrich, der Engel, ist das stärkste Mitglied eines Ensembles, dessen Fähigkeiten erstaunlich weit auseinanderklaffen.Schmauser macht aus Heinrich ein Kind, einen Spasti, einen himmlischen Golem.Halb Rain Man, halb Rühmann.So wird er zur heimlichen Hauptfigur.Wenn man Sidler vorwirft, daß er aus der Drittelklamotte "Männer und Frauen" eine Dreiviertelklamotte gemacht hat, muß zu seiner Ehrenrettung gesagt werden: Es hätte schlimmer kommen können.Es hätte auch Kitsch herauskommen können.Besser Klamotte als Kitsch.

Aber es gibt aber wirklich ein paar sehr, sehr schöne Funkelsteinchen in "Männer und Frauen".Das allerschönste geht so: "Die meisten Träume haben am Anfang so zarte und helle Farben wie die Häuser im Süden.Dann, zwanzig oder dreißig Jahre später, wenn man sie so lange mit sich herumgetragen hat, werden sie schwer, häßlich und dunkel, und man möchte die Farbe von früher drüber malen.Aber es geht nicht." Wenn das nicht geklaut ist, dann ist es genial.

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