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Nichts als Nackte. Blick in die Ausstellungsräume der Villa-Schöningen.

© Noshe, 2016/Villa Schöningen

Johannes Grützke Ausstellung: Fleischlichkeit als Protest

Der Berliner Maler Johannes Grützke ist ein Musterbild der Beharrlichkeit: Er malte Menschen, nackt und ungeschönt. Die Villa Schöningen zeigt nun Aktbilder.

Er hat sie alle weggelacht. Die ewigen Fragen nach der Modernität figürlicher Malerei ebenso wie jede Kritik an der Fleischlichkeit oder auch Fleischigkeit seiner Motive. Bloß nicht weich werden und malen wie die anderen – abstrakt, diffus, vielleicht sogar beliebig.

Johannes Grützke ist ein Musterbild der Beharrlichkeit. In Berlin geboren, seit fast einem halben Jahrhundert im selben Atelier in Wilmersdorf, und für Besucher stets mit Kaffee bewehrt, den er ohne Filter im hellblauen Topf kocht. Auch malend kennt der Künstler kaum Abweichungen: Wer auf seine Bilder schaut, der weiß, was kommt. Menschen, nackt und ungeschönt, in allen Lebenslagen. Riesengroß und alternd wie der Künstler selbst. Die Villa Schöningen in Potsdam entfaltet aktuell ein ganzes Panorama dieser männlichen und weiblichen Leiber. Vor allem letztere bevölkern die Räume, und sicher flaniert zwischen den Besuchern das eine oder andere Modell aus fünfzig Jahren harter Körperarbeit an der Staffelei. Zumindest im bestuhlten Minikino, in dem ein Filmporträt über den 1937 geborenen Maler zu sehen ist, spricht die gerade anwesende Frauengruppe so persönlich über Grützkes Atelier, dass sie es inwendig zu kennen scheint.

Seit den sechziger Jahren verbindet sich mit dem Werk des Malers vor allem eines – unbedingte Nacktheit. Aber ist das wirklich, was Grützke meint? Auch sein Lachen war oft nicht lustig gemeint, sondern schiebt sich zwischen ihn und das Gegenüber, wenn er über besonders absurde Dinge spricht. Darüber zum Beispiel, dass ihn die Kunstkritik lange geschmäht habe und Kunstgeschichte zwangsläufig eine einzige Kette von Fehlinterpretationen sei. So ist das Lachen eher ein Grimassieren, wie man es aus Grützkes frühen Bildern kennt.

Wahrhaftigkeit in allen Lebenslagen war sein Anspruch

Solche Bilder vermisst man zwischen den 30 Arbeiten in der Villa. Die Ausstellung widme sich explizit der Aktdarstellung, heißt es im begleitenden Text – doch wann tut es das nicht bei Grützke, der die Nackten in seinem Atelier von oben, unten und hinten inspiziert. Erotisch ist das selten. Grützke wirkt eher wie ein Analytiker, dessen Beobachtungen weit unter die Oberfläche gehen. Dorthin, wo es wehtut. Verismus, Wahrhaftigkeit in allen Lebenslagen, lautet der Anspruch, dem der Künstler sich verpflichtet. „… hingucken sollste, aber genau, du blinder Passagier“, heißt es in einem Theaterstück, das Grützke Anfang der siebziger Jahre schrieb.

Zur selben Zeit gründete er unter anderem mit Matthias Koeppel die „Schule der Neuen Prächtigkeit“. Man kann das ironisch lesen, denn Prachtkerle sind Grützkes Männer allemal in ihrer Art, sich zur Schau zu stellen. Gemeint war jedoch eine Art von Sinnlichkeit, die die Gruppe damals in der Kunst vermisste. Fleischlichkeit als Protest auf konzeptuelle Blutleere, danach sieht es heute aus.

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Die Rückschau gibt Johannes Grützke recht. Auch wenn die Neue Prächtigkeit nicht zur internationalen Bewegung gewachsen, sondern eine Berliner Blüte geblieben ist. Sein ironisch gebrochener Realismus steht für eine eigene Tradition, die man in allen Formaten verfolgen kann. Monumental wie in der Frankfurter Paulskirche, in deren Wandelhalle seit 1987 zweihundert Männer in schwarzen Anzügen ihre Runden an der Wand drehen. Groß wie auf dem Bild „Drei nackte Frauen“ von 1973, das in der aktuellen Ausstellung hängt. Und klein wie auf den ebenfalls in Potsdam vertretenen intimen Aktdarstellungen einer Badenden, die sich nicht wie ihre Vorbilder aus barocker Epoche verschämt zur Schau stellt. Sondern gewissenhaft abtrocknet.

An die Stelle der Erkenntnis tritt Ermüdung

Dennoch fehlt in der Villa Schöningen etwas. Was die Ausstellung leistet, ist ein interner Blick auf die stilistischen Veränderungen im Werk. Grützke arbeitet zunehmend expressiv: Die glatte, im Licht schimmernde Haut der frühen Gemälde wird zur expressiven Landschaft, in der der Gestus sichtbar bleiben und den Körper aus roten, grünen, gelben Pinselstrichen formt. Es ist eine souveräne Malerei, die den Gegenstand auf der Leinwand modelliert. Bei 30 Ölgemälden und Kreidebildern erschöpft sich diese Erkenntnis allerdings bald. An ihre Stelle tritt Ermüdung angesichts der immer neuen Varianten des Bekannten. Vor vier Jahren erhielt Grützke den Hannah-Höch-Preis für sein Lebenswerk, die begleitende Überblicksschau offenbarte ein vielseitiges Talent. Die jetzige Ausstellung reduziert dieses Werk auf einen Aspekt. Dass er all die Jahre auch das gesellschaftliche Rollenspiel, den Kampf der Geschlechter und Kollektivneurosen wie die Geschichte der deutschen Teilung behandelt hat, fällt bei dieser Auswahl unter den Tisch. Ebenso wie seine unzähligen Selbstporträts.

Fleisch allein ist in Grützkes Fall zu wenig. Benno Ohnesorg, Walter Ulbricht oder die „Darstellung der Freiheit“ (1972) gehören unbedingt dazu. Ohne den filmischen Essay „einverstanden. Im universum des johannes grützke“ bliebe man ganz ohne Wissen über die Ideen hinter den Bildern und die spitzfindigen Einlassungen, mit denen der Maler seine Absichten erläutert. „Früher habe ich gern Fratzen gemacht, jetzt aber nicht mehr. Eines Tages wollte ich auch das Lachen bei mir abschaffen. Ich schaffe es aber nicht“, hat Grützke in einem Interview gesagt. Solange er nicht adäquat betrachtet und interpretiert wird, muss der Künstler tapfer weiter grimassieren.

Villa Schöningen, Berliner Str. 86, Potsdam, Do – So 10 – 18 Uhr

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