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Kultur: Joop van den Ende: Der träumende Tycoon

Am Ende bekommt er sie doch. Sie sinkt in seine Arme, eine schöne, weiß gekleidete Frau, von einem Attentäter hinterrücks erstochen.

Am Ende bekommt er sie doch. Sie sinkt in seine Arme, eine schöne, weiß gekleidete Frau, von einem Attentäter hinterrücks erstochen. Bevor der Tod die Pforten seines Schattenreichs erreicht, zeigt er sie noch einmal her: Da, seht sie euch an! Sie war zur mächtigsten Frau Europas, dennoch ist sie mein. Dann verschluckt ihn die Finsternis, der Vorhang fällt, und ein sakraler Schlussakkord rauscht durch den Saal.

"Elisabeth" heißt das Musical, das jetzt in Essen Premiere hatte. Als sich das Publikum beglückt von den Sitzen erhebt, hofft der niederländische Produzent Joop van den Ende, dass er richtig liegt - und noch viel mehr möglich ist: Denn van den Ende möchte nichts Geringeres, als 70 Jahre nach Brecht/Weill in Deutschland das großstädtische Musiktheater wieder zu beleben: zunächst in Essen, dann in Hamburg und bald auch in Berlin. Zu diesem Zweck hat er eine deutsche Tochter seines niederländischen Entertainment-Unternehmens Stage Holding gegründet. Deren erste Produktion ist ein zweieinhalb stündiges, opulent bebildertes Biografical, das den österreichisch-deutschen "Sisi"-Mythos seiner idyllischen Verklärung entreißt und in ein sarkastisch-barockes Schauermärchen verwandelt.

Im Gegensatz zur putzig lebensfrohen Kino-Sisi, ist ihre Ruhrpott-Schwester ein egoistisches Monster. "Ich gehöre nur mir", lautet ihr trotziges Motto, mit dem sie sich gegen Bevormundung durch Hof und Familie wehrt und schließlich lernt, ihre Schönheit als politische Waffe einzusetzen. In diesem musical drama von Michael Kunze (Text) und Sylvester Levay (Musik) ist Sisi (Pia Douwes) keine Heldin, sondern ein Symptom - für den Niedergang der K. u. K.-Monarchie. Die heikle Gratwanderung zwischen der Popularisierung des Mythos und handfesten sozialen Konflikten glingt eindrucksvoll.

Mit dieser Adaption des bereits in Wien und Scheveningen erfolgreichen Kaiserinnen-Dramas präsentiert van den Ende in Deutschland seine Visitenkarte. Er hat das einst für die marktführende Stella AG gebaute Essener Colosseum-Theater drei Jahre gemietet und für 7,75 Millionen Mark seinen Ansprüchen anpassen lassen. Jetzt sind rote Teppiche ausgelegt und Mahagoni-Bars in die frühere Montagehalle eingezogen. Moderne Kunstwerke hängen an neuen Zwischenwänden, auf Podesten stehen skurrile Pop-Art-Skulpturen. Sie spiegeln weniger Joop van den Endes private Sammelleidenschaft als vielmehr seinen Wunsch, ein "Haus der Kunst" zu schaffen.

"Bedenken Sie, wie viele Menschen, die meine Musicals besuchen, eine Kunsthalle betreten würden. Wenn Musicals zu Jahrmarktsattraktionen werden, hören sie auf, Theater zu sein." Das sagt uns in Essen ein Mann, der bis vor kurzem zu den mächtigsten TV-Produzenten in Europa zählte und den Massengeschmack mit Sendungen wie "Gute Zeiten, schlechte Zeiten", "Am laufenden Band" und "Big Brother" instinktsicher zu bedienen vermochte. Doch seit der Mitgründer von Endemol seine Anteile für geschätzte 2,8 Milliarden Mark an den spanischen Telekomriesen Telefónica verkaufte und sich aus dem Fernsehgeschäft zurückzog, widmet sich der Theaternarr seiner eigentlichen Leidenschaft.

Der 59-Jährige ist ein Schwärmer. Dennoch sieht man den medienscheuen Mann selten in der Öffentlichkeit. Es fehlt ihm an Eloquenz, findet er und versucht, seine 1 Meter 90 kleiner aussehen zu lassen, indem er den ergrauten Kopf zwischen die breiten Schultern zieht. Überdies lasse sich seine Botschaft nur ästhetisch vermitteln. Denn van den Ende will die Vormachtstellung des deutschen Imperiums von Peter Schwenkow mit Theaterproduktionen brechen, "die die Massen bewegen und trotzdem den Ansprüchen der Hochkultur genügen". Dafür ist er auch bereit, neue Stoffe zu entwickeln. "Mein Anliegen ist es nicht", sagt er, "mit Theater viel Geld zu verdienen." Er will Geschichten erzählen. Damit setzt er sich von der üblichen Praxis ab, aus England und den USA abgekupferte Musical-Events als deutschen Lockstoff für Pauschaltouristen zu verkaufen.

Es missfällt van den Ende, das Theatermachen als "ein Geschäft zu betrachten". Trotzdem verfolgt er eine forsche Expansionsstrategie. Nachdem er im Poker um die insolvente Stella AG Schwenkow unterlegen war, erwarb der holländische Medienmogul im Mai 2000 das "Buddy"-Musical im Hamburger Hafen. Es soll noch bis Anfang April gezeigt werden. Danach wird die einem Gürteltier nachempfundene Zelt-Konstruktion für die derzeit spektakulärste Broadway-Inszenierung umgebaut - Disneys "König der Löwen". Seit Anfang März nun ist van den Endes Stage Holding zudem Besitzer des Berliner Metropol-Theaters, das er für 60 bis 80 Millionen Mark wieder bespielbar machen und im Herbst 2003 mit einer Eigenproduktion eröffnen möchte. Und als wäre das nicht schon Aufwand genug, bemüht sich seine Firma um eine weitere symbolträchtige Bühne in Berlin. Im Gespräch ist das Schiller-Theater, aber auch über einen Neubau wird nachgedacht, um eines der etwa 70 Stücke, für die van den Ende die Lizenzen hält, so schnell wie möglich produzieren zu können.

Leidenschaft allein kann diesen Aktionismus kaum erklären. Vielmehr kommen mehrere Umstände zusammen. So besteht die deutsche Stage Holding überwiegend aus Leuten, die van den Ende letztes Jahr von der wankenden Stella abgeworben hatte. Mit Ungeduld warten sie seither darauf, ihrem Firmennamen ("The Theatre Company") Taten folgen zu lassen. Zudem konnte sich die Stage Holding die Rechte an Disneys "König der Löwen" und "Aida" sichern. Von deren Umsetzung hängt es wohl ab, ob van den Ende das Vertrauen des US-Unterhaltungsgiganten auch langfristig gewinnt.

Mögen die Ambitionen seiner jungen Mannschaft für den bedächtigen Niederländer übertrieben sein, er braucht ihren Idealismus für seinen eigenen Lebenstraum. Als jüngster Sohn eines Eisenbahners wuchs er in kleinen Verhältnissen auf. Der Vater, ein Maschinist, der noch auf Dampflokomiven fuhr, knurrte nur, man solle ihn in Ruhe lassen mit diesem Künstler- und Theaterzeug. Als er starb, war van den Ende 18 Jahre, seine Mutter verlor er vier Jahre später. Da hatte er sich schon einem Amateurtheater angeschlossen und eine Lehre als Tischler in den Werkstätten der Niederländischen Oper absolviert. "Ich war ein schlechter Schauspieler", bekennt er. "Ich spürte, dass es nicht reichte, und hörte sofort auf." Der 24-Jährige beschränkte sich fortan auf das, was ihm lag: Er organisisierte Bühnenshows, managte die Künstler, übernahm das finanzielle Risiko. Er habe "das gesamte System" umgekrempelt, erzählt van den Ende, indem er seine Bühnenformate dem Fernsehen als Paket verkaufte. in einem riesigen alten Gewächshaus produzierte er bald seine eigenen Shows. Mit der Einführung des Privatfernsehens wurde der gewiefte Macher zu Hollands führendem TV-Magnaten. Es gibt kaum ein Soap-Format, das nicht von ihm konzipiert wurde. Dennoch habe er das stets "nur als ein Business" betrachtet.

"Mit 58 Jahren war ich krank und entsetzlich müde", erzählt er. Mit einem Finger fährt van den Ende hinter die randlose Brille. "Das Geschäft hat sich vollkommen verändert, die Privatsender machen nur noch Programme für ein junges Publikum. Als Chef musste ich diesen Wandel vorantreiben. Das wäre mir leichter gefallen, wenn ich mich mit der Sache identifiziert hätte." Er überließ seinem jüngeren Partner John de Mol das Regiment. Seitdem probiert der Workaholic das Kunststück, gleichzeitig ein guter Musical-Tycoon und Familienvater zu sein.

Ob van den Ende in Berlin Fuß fassen kann, wird davon abhängen, ob er ein Musiktheater zum Leben verhilft, dass die Lebenswirklichkeit der Metropolenbewohner mitreflektiert. Denn Konfektionsware, die Broadway oder Londoner Westend erfolglos zu kopieren versucht, hat die Stadt häufig genug scheitern gesehen. Dabei wäre es nötig, die emotionalen Überschwänge, zu denen das Musical verführen kann, endlich wieder geistreich zu nutzen. Hierzu müsste van den Ende, der als TV-Manager Maßstäbe gesetzt hat, in Deutschland auch das Musical neu erfinden.

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