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Jubiläum: In eigenen Kleidern

Klassikerin der US-Literatur: Der Schriftstellerin Paula Fox zum 90. Geburtstag.

Es war ein Pfarrer, der Paula Fox während ihrer höchst unruhigen, von häufigen Ortswechseln bestimmten Kindheit und Jugend als Einziger nicht nur ein Gefühl der Geborgenheit vermittelte, sondern bei ihr auch die Leidenschaft für Sprache und Literatur weckte. Onkel Elwood nannte Fox den Mann, der sie aus dem Waisenhaus holte, wohin sie ihre Eltern gleich nach ihrer Geburt 1923 gegeben hatten. Eines Tages fragte er die kleine Paula, was er denn am nächsten Sonntag predigen solle, und sie antwortete: „Über einen Wasserfall“. Tatsächlich ging es dann in seiner Predigt um einen Wasserfall, was Fox das Herz höher springen ließ: „In einem Augenblick wurde mir bewusst“, schreibt die amerikanische Schriftstellerin in ihrem Erinnerungsbuch „In fremden Kleidern“, „was in jeder Facette des alltäglichen Zusammenlebens mit Onkel Elwood enthalten war – dass alles zählte und dass ein in allem Ernst gesprochenes Wort eine geheimnisvolle Kraft enthielt, die Gedanken und Gefühle erwecken konnte, im Sprechenden wie im Zuhörer.“

Es sollte bis in die späten sechziger Jahre dauern, bis Fox ihr erstes Buch veröffentlichte, ein Kinderbuch, und kurz darauf mit „Pech für George“ ihren ersten Erwachsenenroman. Die Getriebenheit, der sie während ihrer Adoleszenz durch wechselnde Bezugspersonen und Stationen in Kalifornien und New York, auf Kuba und in Kanada ausgesetzt war, bestimmte auch ihr Leben als junge Frau.

Nachdem sie 21-jährig ihr erstes Kind zur Adoption freigegeben hatte, war sie nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa unterwegs, arbeitete nach der Rückkehr in die USA als Lehrerin in einem Heim für schwer erziehbare Kinder, später an einer New Yorker Privatschule. Erst in der Zeit ihrer dritten Ehe, mit dem Übersetzer und Literaturkritiker Martin Greenberg, kommt sie zur Ruhe – und schreibt 1970 mit „Was am Ende bleibt“ einen bereits als Klassiker geltenden Eheroman der US-Literatur. Fox erzählt darin von der brüchigen, kinderlosen Ehe der 40-jährigen Sophie Bentwood und ihres gleichaltrigen Mannes Otto, von deren Einsamkeit und einer für beide nur schwer fassbaren Verzweiflung. Ein Katzenbiss bringt das Leben des Paares ins Wanken, am Ende schleudert er ein Tintenfass an die Wand. Und überall lauert die Verunsicherung des amerikanischen Mittelstands durch die sexuelle und studentische Revolution.

Paula Fox entwickelt sich zu einer literarischen Einsamkeitsanalytikerin. Die Helden ihrer Bücher sind zumeist kontaktgestörte Figuren, die nicht immer wissen, was sie tun – unsichere, labile, auch rätselhafte Menschen, ob nun die junge Annie in dem Erziehungs- und Vierzigerjahre-Roman „Kalifornische Jahre“ oder die mittelalte Laura in dem Mehrgenerationenroman „Lauras Schweigen“.

Der Erfolg ihrer Kinderbücher und von „Was am Ende bleibt“, der mit Shirley MacLaine in der Rolle der Sophie verfilmt wurde, schützte Fox nicht vor dem Vergessen, dem Desinteresse des Literaturbetriebs. Seit den achtziger Jahren hatte sie Mühe, ihre Bücher bei Verlagen unterzubringen. Jonathan Franzen, dem 1991 „Was vom Ende bleibt“ in die Hände fiel, sorgte 1996 mit einem Essay für Fox’ verdiente Wiederentdeckung. Das Buch hält er gegenüber anderen Romanen von John Updike, Philip Roth oder Saul Bellow für „deutlich überlegen. Es erschien mir unverkennbar groß ...“

Ihre Bücher wurden wieder neu aufgelegt, auch in Deutschland. Noch einmal nahm dieses bewegte Leben eine Wendung. So wie sie selbst es in einem Essay über den zunehmenden Sprachverlust in der Gesellschaft, die „Abstumpfung der Sprache“ geschrieben hat: „Das letzte Wort ist nie gesprochen.“ Am heutigen Montag feiert Paula Fox in Brooklyn ihren 90. Geburtstag. Gerrit Bartels

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