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Nits’ Mutter arbeitet im Urwald. Stimmt das wirklich?

© picture alliance/dpa

Jugendroman von Stefanie Höfler: Lügen heißt träumen

In ihrem Roman „Feuerwanzen lügen nicht“ erzählt Stefanie Höfler eine Hochstaplergeschichte. Was zählt mehr: Freundschaft oder Wahrheit?

Mischa und Nits sind beste Freunde wie Yin und Yang, sie ergänzen sich. Nits, der eigentlich Nityananda heißt und indischstämmige Eltern hat, die in Deutschland aufgewachsen sind, ist der ewige Sprücheklopfer, der Wortmagier, der auf jedes Wort einen Reim findet, auch wenn es noch so abgedreht ist.

Mischa ist der superschlaue, ernste Überflieger, der einfach alles weiß, vor allem über Tiere. Nits vertraut Mischa blind, er glaubt ihm alles, bis zu dieser Geschichte mit der Badehose. Mischa hat keine, und Nits kann sich das nicht vorstellen. Die beiden sind die Protagonisten in Stefanie Höflers Roman „Feuerwanzen lügen nicht“, der aus der Perspektive von Nits rückblickend erzählt wird.

Nits und Mischa sind immer einer Meinung, bis Mischa vor einem Jahr über das Lügen diskutieren wollte. „Menschen lügen zum eigenen Vorteil und aus Bequemlichkeit, das war meine Theorie“, sagt Nits. Mischa aber meint, Menschen lügen aus Verzweiflung, wenn es nicht anders geht. „Um sich selbst zu schützen, vor etwas Schlimmem womöglich.“

Daran muss Nits denken, als Mischa seinem Klassenlehrer eine Chlorallergie vorschwindelt - mit Attest - um nicht am Schwimmunterricht teilnehmen zu müssen. Seltsam auch, dass er Mischa nie zu Hause besuchen kann. Der Vater sieht aus wie ein Rockstar, hatte immer irgendwelche Jobs, und die Mutter arbeitete als Forscherin im Urwald. So bleibt es Mischa überlassen, sich um seine überdrehte kleine Schwester Amy zu kümmern.

Geld spielt keine Rolle

Nits Elternhaus ist genau das Gegenteil, seine Eltern hatten gute Jobs, Geld spielt keine große Rolle, und der große Bruder Ole kauft ständig Sportsachen, die er schon bald nicht mehr braucht. Zweifel kommen Nits, als er dahinterkommt, dass es den Arzt, der Mischa das Attest ausgestellte, gar nicht gibt.

Und der erste Besuch in Mischas Wohnung ist für ihn ein Schock, sie ist so gut wie leer. Zum ersten Mal hat Nits Zweifel an Mischas Ehrlichkeit - und dann verschwindet noch sein Vater. Schnell wird klar, dass er in irgendwelche krummen Geschäfte verwickelt sein muss.

Mischas Vater ist ein begnadeter Lügner, sein Sohn ist zu Recht sauer auf ihn, aber auch er fängt an zu lügen. Aber kreativ. „Lügen ist einfach nur träumen, wie es auch sein könnte. Oder wie es eigentlich sein sollte.“ Seine Mutter ist verschwunden, die Briefe aus dem Urwald hat der Vater geschrieben. Das störe niemanden, meint Mischa, doch Nits fühlt sich verletzt, denn Unehrlichkeit tut weh.

An diesem Punkt nimmt Höflers Roman Fahrt auf, wird spannend, denn viele Fragen in diesem dialogstarken Roman warten auf eine Antwort. Die Autorin lässt die Kapitel mit Cliffhängern enden, steigert die Spannung. Für Abwechslung sorgen die Nebenfiguren, zum einen die kleine Schwester Amy, die offen und geradeaus denkt, aber keine Sekunde stillsitzen kann.

Dann ist da noch die seltsame Sophie, die auch bei der Tafel zum Einkaufen auftaucht, etwas, das Mischa unbedingt verschweigen wollte. Der Klassenlehrer, die Dame vom Jugendamt und der Besitzer der Döner-Bude, alle bereichern den Kosmos der beiden Kinder und auch bei ihnen ist nichts so, wie es auf den ersten Blick scheint.

Die Autorin greift mit ihrem Roman sensibel und behutsam ein heißes Eisen auf: Kinderarmut. Plötzlich sieht Nits seine so selbstverständliche Wohlstandswelt mit anderen Augen, mit denen von Mischa. „Und da sah ich auf einmal, wie müde Mischa war. Müde vom So-tun-als-ob-alles-normal-wäre.

Müde vom Fassadewahren. Müde vom Schämen. Müde vom Lügen. Müde vom Warten auf das ersehnte lebensverändernde Alles-auf-null-Reset.“

Den Stress des Lügens, des schönen Scheins, um akzeptiert zu werden, das erzählt Höfler in diesem klugen Roman, der bis zur letzten Seite spannend ist.

Sie öffnet ein Fenster in eine Welt, die den meisten Menschen verschlossen bleibt, weil die Betroffenen sich schämen und an der Aufrechterhaltung der Fassade arbeiten. Höflers Roman zwingt zum Perspektivwechsel.

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