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Kultur: Kern oder Schale

Und alle Fragen offen: Generaldirektor Reiner Güntzer verlässt die Stiftung Stadtmuseum Berlin

Hinter dem Chefsessel prangt eine Baustelle. Absperrgitter umzäunen ein Wasserloch, ein Scheinwerfer taucht die Szenerie in grelles Licht. Das Bild des Berliner Malers Dieter Hacker hing 1998 in der Ausstellung „Fontane und die Kunst“ im Märkischen Museum. Von dort hat es Reiner Güntzer für die Sammlung „seiner“ Stiftung Stadtmuseum, zu der seit 1995 auch die Museumsburg am Köllnischen Park gehört, erworben.

Güntzer, der Gründungs-Generaldirektor, feiert heute seinen 65. Geburtstag. Zum Monatsende wird er pensioniert. Zwar bezieht sich Hackers Gemälde auf eine im „Stechlin“ erzählte Anekdote über den tiefsten See der Mark, der mit seismographischer Genauigkeit politische Erschütterungen anzeigen soll. Doch könnte es über dem Schreibtisch des scheidenden „Generals“ nicht besser platziert sein. Denn Güntzer verlässt die Stiftung in einem Moment der Ruhe vor dem Sturm.

„Man kann, wenn man Pech hat, Flöhe aus dem Ärmel schütteln, Museen nicht“ lautet der Titel einer Festschrift, die Weggefährten 1993 zum 25-jährigen Dienstjubiläum Güntzers als Museumsreferent der Senatskulturverwaltung herausgaben. Ihr Inhalt behauptet das Gegenteil. Im Rückblick sieht sich Güntzer selbst als personifizierten museumspolitischen Vollstrecker der fetten West-Berliner Jahre: „Als Begleiter von Museumsgründungen wie der Berlinischen Galerie erfüllte ich damals eine Funktion des Zeitgeistes.“

Das kulturpolitische Klima hat sich seither radikal gewandelt. Überwintern heißt das Gebot des Jahrzehnts. Er hinterlasse die Stiftung „schlecht bestellt“, das Tauziehen um das Jüdische Museum habe ihn drei kostbare Jahre gekostet, erklärte Güntzer vor wenigen Tagen in einem Radio-Interview. Wir erinnern uns: Als die Mauer fiel, war in Berlins Kultur- und Wissenschaftsbetrieb vieles mehrfach vorhanden. Doch anders als Opern und Universitäten wurden etliche Museen bis Mitte der Neunzigerjahre fusioniert: unter dem Dach der Stiftung Preußischer Kulturbesitz oder, wie das westliche Berlin Museum, das östliche Märkische Museum und ihre Dependancen, in der 1995 gegründeten Stiftung Stadtmuseum Berlin (SSMB).

Von ihrer Existenz erfuhren viele Berliner erst 1997 durch einen Streit. Die Kontrahenten: Reiner Güntzer und Amnon Barzel, israelischer Ausstellungsmacher mit internationaler Reputation. Der designierte Direktor des Jüdischen Museums legte das Konsensmodell des „integralen Konzepts“, das die räumliche und inhaltliche Verzahnung mit der Berliner Stadtgeschichte im Libeskind-Bau vorsah, sehr überregional aus. Exemplarisch sollten die Werte der deutschen Majorität aus der Perspektive der jüdischen Minderheit beleuchtet werden. Das Ende ist bekannt. Barzel, der sich nicht nur mit Güntzer angelegt hatte, wurde fristlos entlassen. Für Güntzer ein Pyrrhussieg: Barzels Nachfolger W. Michael Blumenthal erreichte binnen Jahresfrist nicht nur die institutionelle Unabhängigkeit des Jüdischen Museums, sondern übernahm neben dem Libeskind-Bau auch das barocke Kollegienhaus – immerhin 24 Jahre lang Stammhaus des Berlin Museums.

Der Preis für die einigungsbedingte Vernunftehe war hoch. Güntzer gewährte bedrohten DDR-Spezialitäten wie der „Sammlung industrielle Gestaltung“, die inzwischen beim DHM untergekommen ist, Unterschlupf. Zu der so kaum vermeidbaren inhaltlichen Unschärfe und den durchweg sanierungsbedürftigen Häusern kamen hausgemachte Webfehler, etwa die administrative Gliederung des kulturhistorischen Super- Museums. Mit vier Haupt- und etlichen Unterabteilungen glich die SSMB bis vor einem Jahr einem kafkaesk unüberschaubaren Bewusstseinskombinat.

Vor zwei Jahren entwickelte Güntzer mit dem Kunsthistoriker Kurt Winkler einen „Masterplan“. Er schlägt, Sparvorgaben des damaligen Kultursenators Christoph Stölzl umsetzend, neben der Abgabe mehrerer Standorte und Sammlungen die thematische Konzentration auf das „Kerngeschäft“ Berlin-Geschichte vor. Herzstück der Planung ist die funktionelle Ertüchtigung des Märkischen Museums. Vor einem dreiviertel Jahr wurde eine neue Runde im musealen Reduktionsprozess eingeläutet. Nun diskutieren Museumsleiter, Landesmuseumsverband und Kulturverwaltung über die Gründung einer „Stiftung Berliner Landesmuseen“, in der neben Berlinischer Galerie und Brücke Museum bis 2005 auch die SSMB aufgehen soll. Haushaltsrechtliche wie repräsentative Funktionen lägen bei einem neu zu berufenden Generaldirektor, inhaltliches Programm bestimmten weiter die Leiter der einzelnen Häuser.

Das Konzept soll dem Abgeordnetenhaus nach der Sommerpause vorliegen. Spätestens dann wird sich Kultursenator Thomas Flierl wohl auch grundsätzlich zur Kompatibilität der so ungleichen Museums-Partner äußern müssen. Mindestens bis zum Herbst scheint Flierl auch die Neuausschreibung von Güntzers Stelle hinauszuzögern. Für eine Übergangszeit amtiert nicht dessen Stellvertreterin Renate Altner, sondern Kurt Winkler, der sich bereits in den aktuellen Verhandlungen profilieren konnte. Für die Neubesetzungen am Stadtmuseum und an der Spitze der neuen Dachstiftung könnte der Blick über den Rand der Baustelle Berlin dabei nicht schaden.

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