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Wim Wenders, Erika und Ulrich Gregor bei einer Filmparty im Jahr 2017.

© imago/APP-Photo / Ralf Mueller

Buch über Ulrich und Erika Gregor: Ein Leben für das gute Kino

Arsenal-Kino und Berlinale-Forum. Ulrich und Erika Gregor haben dem politischen Arthouse-Film Foren und Aufmerksamkeit mit prägender Wirkung verschafft.

Von Andreas Busche

Die Idee, das Kino als politischen Ort zu begreifen, der sich von jeglicher Form der Vereinnahmung emanzipiert, geht in Deutschland maßgeblich auf Ulrich und Erika Gregor zurück. Sie haben in ihrem Großprojekt zwischen Aktivismus und Bildungsarbeit stets die Forderung nach einem unvoreingenommenen Sehen formuliert, in dem sich im Idealfall dann Haltungen artikulieren, die die Wirklichkeit stets auch in den aus ihr resultierenden Möglichkeiten spiegeln und überprüfen. Eine eher beiläufige Anekdote, die das Buch „Kino, Festival, Archiv: Die Kunst, für gute Filme zu kämpfen“ aber nicht ohne Grund gleich zwei Mal aufgreift, veranschaulicht diese Position sehr schön.

Als die Berlinale 1971 dem kurz zuvor gegründeten Internationalen Forum des Jungen Films die Beflaggung mit den Nationalfarben der beteiligten Länder anträgt, verweigerte sich Erika Gregor dem Vorschlag mit der Begründung, das die Subsumierung des Kinos unter „Filmnationen“ nicht ihrer Vorstellung entspräche. Das Geld für die Fahnen würde sie stattdessen in das Programm investieren – das natürlich auch ohne Fahnen die ganze Bandbreite des Weltkinos umfasste.

Das Arsenal 1964 war wegweisend für die Filmarbeit

Die Bedeutung von Ulrich und Erika Gregor für die Auseinandersetzung mit Filmgeschichte, für die Kunst der konzeptuellen Programmgestaltung (heutzutage „kuratieren“ genannt), die Anfänge der Filmclubs und kommunalen Kinos in Nachkriegsdeutschland sowie die internationale Vernetzung von Filmemacherinnen und Filmemachern durch die Gründung des Kinos Arsenal und später in leitender Funktion beim Internationalen Forum ist in den vergangenen Jahren schon hinreichend gewürdigt worden. Erst vor einigen Monaten lief Alice Agneskirchners Dokumentarfilm „Komm mit mir in das Cinema“ über das Lebenswerk „der Gregors“ in den Kinos.

2010 mit der Berlinale-Kamera geehrt: Ulrich und Erika Gregor.

© / Imago

Claudia Lenssens und Maike Mia Höhnes Buch, ein Konvolut von zeitgenössischen Artikeln und Gesprächen sowohl mit den Gregors als auch mit Wegbegleiter:innen, ist ein unschätzbares Kompendium vieler Themen, die ein Film eben nur anreißen kann. Das kleinteilige Layout mit der fragmentarischen Gegenüberstellung von Zitaten, Dokumenten und Bildern, ist zunächst gewöhnungsbedürftig.

Zwar folgen Lenssen und Höhne einer chronologischen Ordnung sowie einer Systematik von Ideen, in der das Biografische aber, anders als in „Komm mit mir in das Cinema“, weniger im Vordergrund steht als die Schärfung eines ästhetischen Profils aus einer Vielzahl von persönlichen Erfahrungen. Sei es in der Wahl der Mitstreiter:innen, die kommen und gehen (oder bleiben), als auch der Vereinbarung von Privatleben und Beruf(ung).

Denn obwohl „Kino, Festival, Archiv: Die Kunst, für gute Filme zu kämpfen“ die Lebensleistung von Ulrich und Erika Gregor würdigt, trägt das Buch auch den vielen Menschen Rechnung, ohne die es die „Freunde der Deutschen Kinemathek“, das Arsenal in der Welserstraße in Schöneberg und später das Internationale Forum vielleicht nie gegeben hätte. Zum Beispiel Sylvia Andresen, die sich 1971 zunächst nur als Sekretärin für das Forum bewarb, aber sehr früh von Erika Gregor, bis dahin die einzige Frau im „Freunde“-Team, in die inhaltliche Arbeit eingebunden wurde. Und sich bald als unersetzlich erwies.

Das erste Frauenfilmfestival

Auch aus den unveröffentlichten Erinnerungen von Heiner Roß, ihrem „wichtigsten Mitarbeiter der Anfangszeit“, wie die Gregors in ihrer Danksagung schreiben, zitieren die Herausgeberinnen ausführlich. Sie geben nicht nur Einblicke in den logistischen und administrativen Aufwand (ganz zu schweigen vom diplomatischen Drahtseilsakt mit der Politik), den eine kleine Gruppe unabhängiger Geister auf sich nahm, sondern auch die zwischenmenschlichen Beziehungen und Eigenarten, die Entscheidungen (im Guten wie im Schlechten) beeinflussten. Rückblickend sehen Ulrich und Erika Gregor in den Gesprächen einige dieser Entscheidungen durchaus kritisch, da sie auf Freundschaften auf die Probe stellten.

Für die kollektive Arbeit stehen in den noch weniger institutionalisierten Anfangsjahren wenige Projekte so sinnbildlich wie das erste internationale Frauenfilmseminar im November 1973, das Regisseurinnen wie Helke Sander, Claudia von Alemann (die das Festival organisierten), Ula Stöckl und Dore O eine Plattform für den Austausch bot. Auch hier war die Grundlage die Vorarbeit des Internationalen Forums, das Monika Treut im Buch ihre „Filmschule“ nennt.

Ein anderer Aspekt, dem Lenssen und Höhne viel Platz geben, ist der Zusammenhang von Festival- und Archivarbeit, die Ulrich Gregor einmal damit beschreibt, dass „aus alten Ideen wieder etwas Neues“ entsteht, mit jeder neuen Generation.

Ihr verdanken wir das Kino Arsenal (erst in der Welserstraße, heute am Potsdamer Platz, in naher Zukunft dann im Silent Green im Wedding) mit seinen weit verzweigten Aktivitäten in der Gegenwart, etwa dem Projekt „Living Archives“. Insofern ist „Kino, Festival, Archiv: Die Kunst, für gute Filme zu kämpfen“ mehr als eine Historiografie. Auch als Gebrauchsanleitung ist die Idee weiter aktuell.

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