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Luise (Luna Wedler) und Hund Alaska vor der Buchhandlung in Was man von hier aus sehen kann 2022 Regie: Aron Lehmann

© Studiocanal GmbH/ Frank Dicks / Studiocanal GmbH/ Frank Dicks

„Was man von hier aus sehen kann“ im Kino: Okapis im Westerwald

Aron Lehmann zeichnet mit seiner märchenhaften Verfilmung von Mariana Lekys Bestseller ein skurriles Porträt einer Dorfgemeinschaft. Manchmal etwas zu werktreu.

Mariana Lekys Roman „Was man von hier aus sehen kann“ ist eins dieser seltenen Bücher, die einen beim Lesen in einen sonambulen Zustand versetzen. Die einen aus der schnöden Wirklichkeit wegtragen, ohne die Tragödien des Lebens zu verleugnen. Und ihnen so einen warmen Mantel Urvertrauens umhängen. Heikle Sache, diesen feinen, tragikomischen Erzählton in Filmbilder zu übertragen. Da werden aus den skurrilen Bewohnern eines Dorfes im Westerwald und ihren mitunter märchenhaften, surrealen Erlebnissen schnell kinotypische Provinzkäuze. Eine Gefahr, die Aron Lehmann bei seiner Verfilmung von „Was man von hier aus sehen kann“ bewusst zu sein scheint, der sich seine brave Inszenierung aber nicht gänzlich entzieht.

Unmögliche Liebespaar traumwandeln durch die Provinz

Der Regisseur hat den Roman in Abstimmung mit der Autorin selbst als Drehbuch adapiert. Er konzentriert dessen Zeitsprünge auf zwei parallele Erzählebenen, die das Leben der Erzählerin Luise in Gegenwart und Vergangenheit verschränken. Rückblenden führen in Luises Kindheit. Die hat sie mit Martin geteilt, dem Nachbarsjungen, dessen Vater Palm ein Säufer und Schläger ist. Als Luise Martin verliert, bekommt ihre Seele einen Knacks. Auch als junge Frau kann sie immer noch niemandem in die Augen schauen – bis sie den buddhistischen Mönch Frederik kennenlernt.

Das andere unmögliche Liebespaar sind Selma, Luises Großmutter, und der Optiker. Ein wunderlicher, liebenswerter Mann, der sich ein Leben lang mit der Rolle des besten Freundes begnügt und seine Liebe zu Selma in Schubladen voller unabgeschickter Briefe gießt. Selma fungiert als eine Art Dorforakel. Immer wenn sie von einem Okapi träumt, muss jemand sterben. Innerhalb von 24 Stunden. Als das nach vielen traumlosen Jahren wieder geschieht, gerät die ganze Dorfgemeinschaft in Panik. Briefe mit Geständnissen werden geschrieben, hektisch Dinge in Ordnung gebracht. Wen wird es treffen? Im Angesicht des Endes wollen sich alle ehrlich machen.

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Den überhöhten, surrealen Szenen, in denen Luise tagträumt und Dinge von der Wand krachen, wenn sie die Unwahrheit spricht, steht das realistisch inszenierte Miteinander von Selma und ihren Lieben gegenüber. Und da sind es die Charakterdarsteller:innen, die den ohne moderne Accessoires wie Handy und Computer ausgestatteten Figuren Glaubwürdigkeit verleihen. Luna Wedler als Luise, Corinna Harfouch als Selma, Hansi Jochmann als Elsbeth und Karl Markovics als Optiker meiden jede ausgestellte Wunderlichkeit, was selbst Selmas tränentreibendes Sterbelager erdet.

Das Zuviel an Süßlichkeit kommt, wie so häufig, von der sentimentalen Filmmusik, eine angedickte Soundsauce, die Boris Bojadzhiev mit Silberglöckchen und Engelschören über die melodramatischen Szenen kippt. Danny Elfman für Arme. Die Ausstattung tut mit roten und blauen Leuchtreklamen über Optikergeschäft und Eiscafé ihr Übriges, dass das abgeschabte Dorf und auch die Kate von Selma mit ihren farbig bemalten Wänden nicht so trist wirken, wie man sich das beim Lesen des Romans vorstellt.

Dessen Qualität liegt gerade darin, dem merkwürdigen Personal eine ganz eigene Würde zu verschaffen, die jenseits aller – auch materiell - gängigen Kategorien eines geglückten Lebens liegt. Im Kino jedoch isst das Auge mit, da gelten andere Attraktivitätskategorien. Da tragen rot-blaue Farbkonzepte und Dialogweisheiten wie „Das Leben ist genauso unglaubwürdig wie ein Okapi“ oder „Liebe und Tod können das ganze Leben umdrehen“. Im Buch liest sich sowas ungleich lakonischer. Aron Lehmann hat sich seit „Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel“, seinem tollen Debüt von 2012, als Mann für tragikomische Stoffe – und mit einem Gespür für die Provinz empfohlen. Weniger Werktreue und mehr Abenteuerlust hätte seiner Leky-Verfilmung gut getan.

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