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Brolin

© AFP

Bush-Film: Übervater & Söhne

Oliver Stone mischt sich in den Wahlkampf ein. Sein Film "W." über den amtierenden Präsidenten startet in den USA.

Hinterher reibt man sich verwundert die Augen. Das also soll der Film sein, der unbedingt vor der Präsidentenwahl am 4. November in die Kinos sollte – weil die Abrechnung mit dem Amtsinhaber den Ausgang beeinflussen kann? So viel vorweg: Oliver Stones „W.“, der heute in den USA anläuft, wird an der Wahl wohl nichts ändern. Der Spielfilm enthüllt nichts, eröffnet keine neuen Perspektiven für das Verständnis der acht Jahre unter George W. Bush – was nicht heißt, dass er nicht dennoch sehenswert ist.

„W.“ ist keine Generalabrechnung. Oliver Stone zeigt den Noch-Präsidenten mit einem erstaunlichen Maß an Empathie – und Hauptdarsteller Josh Brolin spielt einen mitunter fast liebenswerten oder zumindest bemitleidenswerten Menschen. Anders als sein Regiekollege Michael Moore macht Stone weder Bush noch dessen politische Helfer lächerlich. Er schildert die Regierungstruppe gewiss nicht positiv, aber er hält die Möglichkeit offen, dass der Hauptakteur das Gute gewollt habe, jedoch scheiterte. Eine Art Ritter von der traurigen Gestalt. Die moralischen Tiefpunkte der Bush-Jahre – Guantanamo, der Folterskandal von Abu Ghraib, das völlige Versagen der Regierung in New Orleans nach dem Hurrikan „Katrina“ – werden gar nicht oder nur am Rande erwähnt.

Konservative Kulturkritiker hätten sich also den Vorwurf sparen können, „W.“ sei ein weiteres Beispiel für Hollywoods politische Machenschaften und dafür, dass die großen Studios angeblich die Linke verklären und die Rechte dämonisieren. So hatte etwa Andrew Klavan den Film in der „Washington Post“ attackiert. Hollywood, das stimmt, hat in jüngster Zeit eine ganze Reihe von kritischen Filmen zum Irakkrieg und zur AntiTerror-Politik produziert. Sie floppten jedoch fast alle an der Kinokasse, vom Heimkehrer-Drama „In the Valley of Elah“ über den CIA-Action- und Folterfilm „Rendition“ bis zu „War, Inc.“ Außerdem stehen hinter Stones Film gar nicht die großen Studios. „W“ wurde mit dem knappen Budget von 30 Millionen Dollar, die überwiegend aus China stammen, in nur 46 Tagen gedreht.

Der Zeitdruck ist dem Film anzumerken. Anders als in „JFK“, „Nixon“, seiner Vietnam-Trilogie oder „Natural Born Killers“ konnte sich Stone diesmal nicht für eine politische Hauptbotschaft entscheiden. Die Rückblenden in Bushs Jugend- und Studentenzeit, mit denen er die Erzählung der Präsidentschaftsjahre unterbricht, wirken nicht virtuos, sondern mechanisch. Ja, W. war ein Trinker und Taugenichts, bis er 1986 ein „wiedergeborener Christ“ wurde. Das weiß man heute alles. Warum er allerdings so großen Erfolg als Politiker hatte, vermag Stone nicht überzeugend zu vermitteln.

Im Zentrum steht Amerikas Weg in den Irakkrieg bis zur bitteren Erkenntnis, dass die angeblichen Massenvernichtungswaffen nicht zu finden sind und die Demokratie mit dem Sturz der Saddam-Statuen noch lange nicht einkehrt. Stone inszeniert die Schlüsselmomente als schwarze Komödie. Das Publikum der amerikanischen Pressevorführung reagierte mit Lachern, als der politische Kriegsrat nach einem griffigen Schlüsselzitat für Bushs Kriegsrede sucht und schließlich bei der „Achse des Bösen“ landet.

Diese Szenen leben davon, dass die Charaktere bis zur übertriebenen Kenntlichkeit verzerrt werden: Karl Rove, Bushs „little genius“ der politischen Strategie: ein Gnom mit übergroßem Kopf. Condoleezza Rice: eine elegante, substanzarme Stichwortgeberin. Colin Powell: ein nachdenklicher Warner, der am Ende einknickt und die UN-Rede mit den falschen Behauptungen über Saddams ABC-Waffen hält. Schließlich Dick Cheney: die böse graue Eminenz im Hintergrund, die der These Nahrung gibt, der Irakkrieg sei nur geführt worden, damit die USA Iran einkesseln und die Kontrolle über die globalen Ölreserven erlangen können.

Wer die Bush-Jahre als Unterhaltungs- Revue passieren lassen will, kommt auf seine Kosten. Robin-Hood-Gesänge persiflieren die Floskeln von Freiheit und Demokratie, und natürlich darf die Brezel nicht fehlen, an der sich Bush verschluckt und stolpernd Mobiliar zerdeppert. Hier kommt Stone kaum über das Niveau von TV-Shows wie „Saturday Night Live“ mit ihren Politikerimitationen hinaus. Irgendwann drängt sich die Vermutung auf: Auch Oliver Stone – er ist jetzt 62 – ist an einem Punkt angelangt, an dem ihm sein Stoff vor allem zur Reflexion über das eigene Leben dient. Jedenfalls liefert er eine eingängige Erklärung für Bushs Motive: der Wunsch, endlich die Anerkennung seines übermächtigen Vaters zu erringen, der aus George W.s Sicht den Bruder Jeb stets vorgezogen hat – und der Wille, sich von beiden zu emanzipieren, indem er politisch erfolgreicher ist. W. wird Gouverneur von Texas, ehe Jeb der Wahlsieg in Florida gelingt. Und W. gelingt die Wiederwahl als Präsident, die sein Vater verpasste.

Aber auch dieses Interpretationsschema ist nicht neu: Bush jr. habe Saddam gestürzt, weil der dem Senior nach dem Leben trachtete. Und der Sohn sei 2003 nach Bagdad marschiert, weil der Vater diesen Job im ersten Golfkrieg nicht erledigt hatte. Wenn es eine innerfamiliäre Folgerichtigkeit gibt, das macht Stone klar, dann jedenfalls nicht im Einvernehmen zwischen beiden Generationen. Folglich kann sich ihr Konflikt im Irak auch nicht lösen, sondern nur verschärfen. Der Senior hält seine Zurückhaltung im Sieg 1991 für richtig – und kann nicht verstehen, warum er trotzdem 1992 gegen Bill Clinton verliert. Der Sohn lastet dem Vater die Selbstbeschränkung als Schwäche an.

Eindringlich, aber etwas klischeehaft setzt Stone den Generationenkonflikt in Szene. W.s Verletztheit, als der Senior ihm erklärt, wie enttäuscht er sei, weil er den Namen Bush mit seinen Saufgelagen und abgebrochenen Jobs beflecke. Die Kränkung, weil Vater und Sohn wissen, dass W. seine ersten Erfolge dem Strippenziehen des Alten verdankt: die Aufnahme in Yale, der Aufstieg zum Besitzer des Baseballteams „Texas Rangers“. Zwei Mal sieht sich W. im Faustkampf mit dem Übervater, Mann gegen Mann. Das erste Mal, als er betrunken nach Hause kommt, die Mülltonnen über den Haufen fährt und lernen muss, dass auch hinter der Zulassung zur Harvard Business School, die er gerade feierte, der Senior steckt. Das zweite Mal in einem Albtraum im Weißen Haus, als sich das Scheitern im Irak abzeichnet. Da sitzt der Alte plötzlich an seinem Schreibtisch im Oval Office und will dem Jungen den Weg weisen, bis der schweißgebadet schreit: „Verschwinde endlich aus meinem Leben!“

Auch Stone hat ein problematisches Verhältnis zu seinem Vater. Die Ehe der Eltern zerbrach an dessen Affären. Und er hat ihm wohl auch nicht verziehen, dass er eine Prostituierte beauftragte, dem Sohn die Unschuld zu nehmen, als Oliver 16 war. Stones zweite Frau, Elizabeth Cox, sagt sogar, die traumatische Kindheit habe „dem kleinen Jungen jede Chance auf ein normales Leben genommen“. Aus William Silverstein wurde Oliver Stone.

Einige Filmszenen legen jedenfalls nahe, dass Stones eigentliches Thema der biografische Vergleich mit W. und die Auseinandersetzung mit beider Beziehungen zu den Vätern ist. Als der Film-Präsident auf dem Flugzeugträger landet, um das siegreiche Ende der Kampfhandlungen im Irak zu verkünden, lässt Stone eine fiktive Nachrichtensprecherin hervorheben, dass der Präsident keine Kriegserfahrung habe. Oliver Stone hat in Vietnam gedient. W. hat sich damals gedrückt, auch das übrigens mit Hilfe des Vaters.

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